Kultur

Absage "Crossing Europe“: Mit Verlust ist zu rechnen

Und auch das Filmfestival Crossing Europe, das heute Abend in Linz begonnen hätte, startet ... nicht.

Erstmals seit 2004 gibt es das beliebte Festival für zeitgenössisches, eigenwilliges Autorenkino aus Europa nicht – aufgrund der Corona-Krise. Doch Crossing-Europe-Chefin Christine Dollhofer hat unter dem Motto „Cancelled, but active!“ ein kleines Programm zusammengestellt, das bis 20. Mai als „Crossing Europe – EXTRACTS“ online abrufbar ist (auf www.flimmit.com und www.vodclub.online).

Eine Live-Opening-Night wird es trotzdem geben.

KURIER: Frau Dollhofer, heute beginnt ein Alternativprogramm von Crossing Europe im Internet, das mit einem gratis Live-Opening-Event um 20.00 Uhr startet (www.dorftv.at). Was genau wird da für das Publikum zu sehen sein?

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Christine Dollhofer: Wir haben zur „Eröffnung“ einen Film mit starkem Linz-Bezug ausgesucht. Es handelt sich um die Österreich-Premiere der Doku „Micha Shagrir – The Linzer Candy Boy“ von Michael Pfeifenberger und ist eine Hommage an den Produzenten und Filmemacher Micha Shagrir. Shagrir wurde 1937 in Linz in der Bischofsstraße geboren, seine Familie konnte sich glücklicherweise vor den Nazis ins damalige Palästina flüchten.

Shagrir war ein maßgeblicher Beförderer der israelischen Filmindustrie und hat dort viele Karrieren ermöglicht. In den 2000er-Jahren wurden jüdische Vertriebene vom Landeshauptmann nach Oberösterreich eingeladen, und ab diesem Zeitpunkt kam Shagrir immer wieder nach Linz. Er war ein langjähriger Wegbegleiter unseres Festivals und ist leider vor fünf Jahren verstorben. Der Film bietet viele Ausschnitte aus seinem Leben und zeigt Zeitzeugen und Wegbegleiter von Israel bis Linz. Danach werden wir aus dem Programm „Local Artists“ Musik-Videos präsentieren. Ich selbst werde im Studio sein und ein bisschen etwas zum Programm sagen. Es ist also eine Art Miniatur-Live-Event. Aber natürlich kann es nicht die reale Festivaleröffnung ersetzen.

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Das Opening ist ein einmaliger Event, danach werden zehn Filme auf Online-Plattformen zur Verfügung gestellt. Wie schwierig ist es rechtlich, Filme online zu stellen?

Wir wollten einen Querschnitt durch das Programm präsentieren. Gleichzeitig haben wir auf Basis von Rechtefreigabe ausgesucht. Nachdem es sich um österreichische Erstaufführungen handelt, war es teilweise rechtlich gar nicht möglich, bestimmte Filme zu erhalten. Manche Weltvertriebe und Rechteinhaber wollten es nicht, weil sie hoffen, dass es zu einem spätere Zeitpunkt noch andere Verwertungsmöglichkeiten gibt.

Es handelt sich also ausschließlich um Österreich-Premieren?

Genau. Es sind österreichische Erstaufführungen, für die wir auch Rechte abgelten mussten. Diese Filme sind geogeblockt, das heißt, man kann sie auch nur in Österreich anschauen.

Was können Sie ganz besonders aus dem EXTRACTS-Programm empfehlen?

Wenn man etwas aktuell Gesellschaftspolitisches sehen möchte, würde ich die ungarische Doku „The Free University“ empfehlen, wo es um die Verbannung der von George Soros gegründeten Universität durch Viktor Orbán geht. Spannend ist auch „The Orphanage“, der im Afghanistan der frühen 90er-Jahre spielt, wo die Mudschaheddin die Russen abgelöst haben. Fein und unterhaltsam: die Globalisierungsdoku „When Tomatoes Met Wagner“.

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Wer profitiert von diesen Online-Angeboten?

Beim Kino VOD Club kann man sich aussuchen, über welches Kino man die Plattform benutzt. Der Preis beträgt 4,90 Euro pro Film, ein Drittel davon kommt dem Programmkino zugute.

Wer sind die großen Verlierer der abgesagten Festivals?

Die großen Verlierer sind die, die die Filme gemacht und verantwortet haben: Die Kreativen und alle, die mit diesen Arbeiten auch Geld verdienen: Das sind natürlich die Filmschaffenden selbst, die Verleiher, die Produzenten und die Branche, die dahintersteckt. Das klassische Auswertungsfenster sind Festivalpremieren, Kinostarts, TV-Ausstrahlungen und VOD- oder DVD-Releases. Diese Dramaturgie ist jetzt völlig durcheinandergeraten. Und so ein Festival ist Werbung für die gesamte Filmbranche. Die Aufmerksamkeit auf Filme wird befördert, Interviews werden gemacht, man bekommt erstes Feedback, wie ein Film beim Publikum funktioniert, und so weiter. Das ist eine eingeübte Strategie, die jetzt wegbricht. Zudem ist ein Festival etwas Einzigartiges, dessen Atmosphäre man nie Online nachinszenieren kann. Aber wir müssen jetzt alle in irgend einer Form alternativ denken, um diese Epidemie zu überbrücken.

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Diagonale-Bilanz: "Ein Hype, der gut funktioniert"

Das österreichische Filmfestival Diagonale zählte zu den ersten Kulturveranstaltungen, die anlässlich der Corona-Krise abgesagt werden mussten. Einige ausgewählte Filme aus dem Programm wurden online zur Verfügung gestellt. Peter Schernhuber,  mit Sebastian Höglinger Intendant des Filmfestivals,  hat einige Lehren aus dieser Erfahrung gezogen.

„Wir standen den Online-Angeboten anfänglich  sehr skeptisch gegenüber“, so Peter Schernhuber im KURIER-Gespräch: „Wir wollen keine digitale Diagonale machen, sondern bestenfalls (kleineren) Filmen  Aufmerksamkeit online bieten, die sie sonst vielleicht nicht bekommen hätten.“

So wurde beispielsweise Sebastian Brauneis’ neuer  Film „3 Freunde 2 Feinde“  bei FM4 gestreamt und erhielt sehr großen Zuspruch: „Ich würde mich fast trauen zu sagen, dass einige dieser Filme beim Festival wahrscheinlich gar nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen hätten, wie sie im Online-Angebot bekommen haben“, sagt Schernhuber.

Wie Analog-Event

Entscheidend für diesen Erfolg war, dass das Streaming-Angebot wie ein analoger Event organisiert wurde: „Wir haben den Film nur an einem Abend online zugänglich gemacht  und dabei die Kulturtechnik des Kinos mit fixem Zeitplan übernommen. Auch gab es begleitende Gespräche mit den Filmschaffenden – und das hat einen Hype generiert, der überdurchschnittlich gut funktioniert hat.“  Davon, „Filme als Content einfach ins Internet zu puffen“, halte er wenig: „Filme, die von sich aus einzeln online gehen, bekommen nicht so viel Aufmerksamkeit.“

Zudem habe die Diagonale  extrem positive Rückmeldungen über das Online-Angebot von Menschen bekommen, die weder in Graz noch in Wien wohnen:  „Uns ist klar geworden, wie sehr  alles  auf Wien und die Landeshauptstädte konzentriert ist“, resümiert Peter Schernhuber: „Leute haben uns gesagt, dass sie erstmals Filme sehen konnten, die sie sonst bei ihnen am Land nie zu sehen bekommen. Ich finde, das sind schon Aussagen, die man berücksichtigen muss.“

(Alexandra Seibel)