Kultur

Filmfestival Venedig: Mit der Axt in der Hand

Das erste Wochenende auf dem Filmfestival in Venedig wird üblicherweise immer von großer Starpower angetrieben. Letztes Jahr um die gleiche Zeit marschierten Hollywood-Großkaliber wie Scarlett Johansson, Joaquin Phoenix und Johnny Depp über den roten Teppich. Heuer jedoch ist der Starfaktor coronabedingt gegen null gesunken – vor allem die US-Promis muss man mit der Lupe suchen.

Einer von ihnen ist Schauspieler Matt Dillon, der als Mitglied der Preis-Jury – angeführt von Oscarpreisträgerin Cate Blanchett – den rumänischen Vorzeige-Regisseur Cristi Puiu ersetzte. Dillon hatte mit der Anreise nach Venedig insofern kein Problem, als er sich gerade in Italien aufhielt.

Warum Puiu absagte, ist offiziell nicht ganz geklärt; allem Anschein nach hatte er ein Problem mit den Corona-Sicherheitsbestimmungen und der Auflage, auch während der Filmvorstellungen durchgehend eine Maske tragen zu müssen. Das sei „unmenschlich“, schäumte Puiu auf einem Filmfestival in Rumänien; es ist anzunehmen, dass er aus diesem Grund auf seine Teilnahme in Venedig verzichtete.

Zierbüsche

Ein paar Celebrities haben sich aber trotz Pandemie an den Lido gewagt – so beispielsweise die unverwüstlich eindrucksvolle Tilda Swinton, die gleich zu Beginn  einen Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhielt.

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Letztlich ist es  aber ziemlich egal, welcher Star über den roten Teppich schreitet, denn zu sehen wäre er ohnehin nicht. Die italienischen Behörden haben einen  Holzzaun entlang des Eingangs zum Festivalpalast errichtet, der absolut dichten Sichtschutz bietet. Wenn man  also Richtung  Teppich blickt, sieht man nichts als eine Reihe von Zierbüschen vor einer  weißen Mauer.

Wer Tilda Swinton aus der Nähe sehen wollte, musste ins Kino gehen. Dort spielt sie die Hauptrolle in Pedro Almodóvars exquisitem Kurzfilm „The Human Voice“, lose basierend auf einem Stück von Jean Cocteau. Nicht nur eine furiose Swinton in scharfen Stilettos mit Leopardenmuster ist eine Augenweide, sondern auch das gesamte Filmset.

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Almodóvar platziert seine flamboyante Schauspielerin in einer bunt lackierten Designer-Wohnung, die leicht als Filmstudio zu erkennen ist, und lässt sie dort von einem untreuen Geliebten Abschied nehmen. Nur der Hund ist Zeuge, wenn Swinton den Anzug des verflossenen Geliebten aufs Bett legt und dort blindwütig mit einer Axt zerhackt.

Starker Tobak folgte im Anschluss an Almodóvars stilistisches Gustostück mit der österreichischen Koproduktion „Quo vadis, Aida?“ der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić. In ihrem erschütternden Drama erinnert Žbanić an das Massaker von Srebrenica: „Quo vadis, Aida?“handelt davon, wie im Juli 1995 UN-Soldaten praktisch tatenlos zusahen, wie Truppen von General Mladić männliche Zivilisten in Busse verfrachteten und exekutierten.

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Völkermord

Wie schon in ihrem Drama „Grbavica“, für das Žbanić auf der Berlinale 2006 den Goldenen Bären erhielt, erzählt sie aus weiblicher Perspektive. Im Mittelpunkt steht eine Dolmetscherin namens Aida, die verzweifelt versucht, ihren Mann und ihre Söhne davor zu bewahren, jene tödliche Busfahrt antreten zu müssen. Die serbische Schauspielerin Jasna Duričić als couragierte Aida liefert eine magnetische Performance – und macht sich damit schwer preisverdächtig.

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