Kolumnen

Paaradox: Raritäten

Sie

„Zugegeben“: kleines Wort, immense Bedeutung. Zumindest beim Mann nebenan und mir. Wenn er damit ein, zwei Male pro Jahrzehnt  einen Satz  beginnt, merke ich sofort, wie mein gesamter Organismus darauf reagiert: Mein Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, ich beginne zu transpirieren, atme rascher, das Gehör schärft sich und ich starre ihn mit weiten Pupillen an, bin aufgeregt: Was, wie, wo, warum? Und irgendwas in mir schreit: Sag’s! Sag’s endlich. Gib mir endlich einmal Recht, finde gut, was du noch nie gut gefunden hast, pflichte mir bei, tu es!

Zirbenwald & Ingwer-Shot

Dieser Tage war es wieder einmal so weit, ich hab’s mir sofort notiert, mit rotem Stift, im Kalender. Es handelte sich um den 24. November, sein „Zugegeben-Statement“ begann exakt um 18:02  und endete 15 Sekunden später. Eine Stunde zuvor war ich mit der Weihnachtsdeko fertig geworden und zufrieden mit mir selbst. Was mir – bescheiden, wie ich nun einmal bin – mittlerweile längst reicht. Da ein paar Kugeln, dort ein paar Engel, draußen Tannenzapfen  und -zweige, eine mild leuchtende Lichterkette, dezentes Rentier- und Weihnachtsmann-Aufkommen, dazu ein paar Hübe vom neuen Raumspray, Marke Zirbenzauber. Ich führte ein Selbstgespräch (Gut gemacht, Gaby!), kippte einen Ingwer-Shot und erwartete mir nix. Dann kam er. Sperrte die Wohnungstür auf, legte den Mantel ab, zog die Schuhe aus, betrat das frisch dekorierte Weihnachtswohnzimmer und sagte nicht das übliche Geh, net scho wieder!, sondern: Zugegeben, das schaut schon sehr gemütlich aus. Worauf ich mir, leicht hyperventilierend, einen Sessel schnappte, um mich hinzusetzen (Anm.: So muss sich die Queen fühlen, wenn die Dessertgabel nicht im exakt rechten Winkel zum Buttermesser liegt). Zugegeben, der Mann nebenan ist immer noch  für Überraschungen gut. Möglicherweise laboriert er aber einfach nur an lockdownbedingter Altersmilde.  

gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Man muss das im Gefühl haben. Und nach sehr vielen gemeinsamen Jahren habe ich es eben im Gefühl. Wann es gut wäre, ein Zeichen der Wertschätzung zu setzen. Einfach so. Da muss es sich gar nicht um ein schlechtes Gewissen handeln, weil ich trotz tagelanger Ankündigungen völlig darauf vergessen habe, das Paket von der Post zu holen (in dem sich jenes Fitness-Set befindet, das mir in ferner Zukunft garantiert wieder Schelte einbringen wird, weil ich es  nicht endlich mit dem ganzen anderen Krempel aus dem Keller fortschaffe). Nein, wichtig ist ein besonderes Frohlocken ohne Anlass. Etwa einen Strauß Blumen schenken und mit ehelichem Augenzwinkern Dinge sagen wie der Romancier Nicolas Boileau-Despréaux: „Frauen sind mit Blumen bedeckte Klippen.“ Oder  auch aus heiterem Himmel Überraschendes tun, wie den Staub unter dem Bett saugen (statt nur drum herum), ein Rezept aus dem Buch "Wahre Süchte? Hülsenfrüchte!" kochen, auf die Champions League verzichten (weil die Gruppe eh entschieden ist, was meine Frau aber nicht erfahren muss).

Adventbrimborium

Mitunter  braucht es aber lediglich die richtigen Worte, um der Liebsten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Und die Königsdisziplin ist es, ihr glaubhaft zu versichern, dass einer ihrer unzähligen Versuche des Missionierens Marke Mach’ Pranayama, indische Atemübungen sind super gegen Stress erfolgreich gewesen sei. In diesem Sinne betrat ich unser weihnachtlich (über-)dekoriertes Domizil, staunte sehr, ließ in meinem Kopf in Sekundenschnelle den epischen Film Gnä Christkind im Schmückglück ablaufen, um dann intuitiv für Stimmung zu sorgen. Erst sprach ich gedanklich zu mir (Werde Teil des Adventbrimboriums, und alles wird gut), und gleich darauf zu ihr: „Zugegeben, das schaut schon sehr gemütlich aus.“ Dann schnappte ich mir zwei oder drei oder 17 Vanillekipferln und war – zugegeben – mit mir und dem Leben sehr zufrieden.

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