Kolumnen

Paaradox: Platt

Sie

Es gibt Tage, da geht einem die Luft aus – was insbesondere für Autoreifen gilt. So begab sich, dass mein linker Hinterer  plötzlich W.O. gab und mir via Bordcomputer flüsterte: Gemach Gnädigste, ich bin platt. Gut, vielleicht nicht ganz genauso so – aber mir war klar, dass ich mich, jetzt sofort, auf dieser belebten Straße einparken und nachdenken muss, wie’s weitergeht. Weil das zu zweit oft besser funktioniert, rief ich den Mann nebenan an, der so beschäftigt klang, als müsse er  die Erde gerade vor einer Reptiloidenübernahme retten und dafür mit Angela Merkel, Joe Biden und Kim Jong-un gleichzeitig konferieren.  

Außer Thesen nix gewesen

Vermutlich hatte ich ihn aber nur bei einem Grübelpauserl erwischt, daher fragte ich: Was würdest du jetzt tun? Zwei Sätze später wurde mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte, denn seine Lösungsansätze verloren sich in Thesen und Gegenfragen. Etwa, wie denn das bitte hat passieren können ...  Da klang er wie ein Großvati. Ehrlich jetzt: Als ob ich wüsste, wann ein Reifen unter welchen Umständen für sich entscheidet, luftleer zu werden. Und so murmelte ich dann auch nur: Irrelevant, weiter bitte. Worauf er von der möglichen Existenz einer Luftpumpe im unteren-hinteren-linksschrägen Bereich des Kofferraums schwafelte, mit der ich, wenn ich es halbwegs behirne (womit er unausgesprochen ließ, dass dies eher nicht der Fall sein würde), Luft in den Reifen bekommen kann, blablabla. Aber leider: nix Pumpe, stattdessen ein Notreifen, so richtig ganz tief unten, im Kofferraum. Aha, sagte er. Und gab mir sofort präventiv zu verstehen, dass er noch nie einen Reifen gewechselt hätte und jetzt eher nicht… Dann frag Angela, wollte ich schon einwerfen, meinte aber nur: Okay, tschüss.  Eine Stunde später hatte ich ein Rendezvous mit einem sehr netten ÖAMTC-Pannenhelfer. Und Stunden später eine SMS vom Hufnagl: Wie geht’s dem Auto? Danke der Nachfrage. Und sag’ dem Kim, mir eh auch so.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Die von meiner Frau bevorzugte Verknappung ist irreführend. Also: Ich befand mich tatsächlich in einer jener Online-Sitzungen, deren Gesetzmäßigkeiten mich mittlerweile an den Rand des Wahnsinns treiben. Sie rief an. Ich hob nicht ab. Sie rief noch einmal an. Heißt: Es ist wichtig. Ich entschuldigte mich bei den Quadrat-Gesichtern am Computer, um die aufgeregte Frage der Liebsten zu hören: Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist?! Da sich mir in diesem Augenblick aber kein Tor zu einem Paralleluniversum öffnete, in dem ich für fröhliche Ratespiele unbegrenzt zur Verfügung stehe, verzichtete ich auf Jux. Und sagte statt „Dir ist beim Joggen der Laptop des Finanzministers entgegengelaufen?“ nur: „Jetzt sag’ schon!“ Es folgte die Kunde vom platten Reifen, und ich gestehe, dass meine Adrenalinausschüttung eher in bescheidenem Ausmaß stattfand. Ich hätte die Nachricht, dass im Eissalon Stracciatella nicht verfügbar ist, wesentlich beunruhigender empfunden. 

Wie soll das gehen?

Daher rutschte mir im ersten Moment auch heraus: „Ok, und was soll ich jetzt bitte tun?“ Was nicht sehr zu ihrer Entspannung beitrug. Und so bemühte ich mich – die Wartenden vom Bildschirm im Kopf – um eine schnelle Lösung, die da gelautet hätte: „Fahr’ mit der Bim heim, ich kümmere mich morgen gleich in der Früh um alles.“ Aber gnä Kuhn ist nun einmal gnä Kuhn (was ich nach mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren wissen müsste). Das bedeutet: Sie will alles hier und jetzt regeln, weiß aber nicht, was genau sie regeln soll. Details der folgenden Auseinandersetzung (Wo soll da eine Luftpumpe sein? Wie soll das gehen? Wie soll ich den Reifen wechseln, ohne schmutzig zu werden?) erspare ich Ihnen (und mir). Also riet ich zu einem professionellen Platten-Spieler, der nicht Hufnagl heißt, um ihr in dieser schweren Stunde zu versichern: „Alles wird gut.“ Womit ich recht behalten sollte. Und was kann es für eine Ehefrau Schöneres geben als einen Mann, bei dem sie als Rad Suchende immer gehört wird. 

michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9