Kolumnen

Paaradox: Im Auge des Sturms

SIE

Der Satz Zieh dir was Wärmeres an ist  von enormer Sprengkraft – dann, wenn eine Ehefrau damit ihren Ehemann meint. Also nicht den Neunjährigen und auch nicht die pubertierende Tochter oder den Toni-Onkel, der vor 30 Jahren auf die Kanaren ausgewandert ist, gerade in Österreich weilt, aber keine langen Hosen mehr besitzt. Ich gestehe:  Mir ist der Satz vor Kurzem rausgerutscht. Bam!  Da war er. Dafür gab es allerdings Gründe. Der Hauptgrund: eine vage Vermutung von mir. Dass es nämlich an unserem  1720 Meter hoch gelegenen Ausflugsziel  nicht so kuschelig sein würde, wie am Ufer des Sees, an dem wir uns gerade befanden. Dunkle Wolken untermauerten die Vermutung.

„Falls ich schwitz’“

Doch während ich einen Not-Pulli, eine Not-Jacke und ein Man weiß ja nie-Stirnband in den Rucksack stopfte, ließ er seine Beine in eine Short gleiten, schlüpfte ins Kurzarm-Leiberl und wickelte einen atmungsaktiven Pulli um die Hüften – „für den Fall, dass ich schwitz’“. Meinen Rat ignorierte er: „Jo, jo.“ Ein Mann, keine Ausrüstung und ich mit Stirnband  – so standen wir etwas später im Auge des Sturms. Drei Grad, über uns erste kleine  Schneefelder, rund um uns Menschen mit Anoraks, Wollmütze und Schals. Außerdem war die von ihm in Aussicht gestellte „fantastische Aussicht“ eher mau. Meiner in den Wind gebrüllten Frage, ob ihm nicht kalt sei, entgegnete er mit einer in den Wind gebrüllten Antwort: „Geht scho!“. Nach 500 Metern trotzigen Loswanderns hielt er inne: „Das hat keinen Sinn.“ Ich darauf: „Stimmt. Gehen wir doch lieber in die Hütte auf einen warmen Tee.“ Drinnen hörte ich seine Zähne klappern, doch dann sagte er zum Wirten: „Ein Krügerl Bier bitte,  krachkalt“. Was ein echter Mann nebenan ist, kennt keine Gnade.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

TERMINE:  8.  10. Stadtgalerie Mödling; 16. 10. Stalltheater Königstetten; 24. 10. Rabenhof; 6.11. Hagenbrunn; 14.11. St. Pölten;  19. 11. Langenlois.

ER

Die Geschichte beginnt, wie so oft, viel früher. Ich saß zur späten Mittagszeit am Holzsteg, über mir die Sonne, vor mir der See und in mir jene Zufriedenheit, die nur eine Frage zuließ: Ist’s noch zu früh für ein gutes Achterl Veltliner? Meine Frau hatte hingegen eine andere Frage. Oder anders: Es war eine als Frage getarnte Idee mit dezenten Spuren von Forderung. „Wollen wir nicht einen Ausflug zum Stausee auf den Berg machen?“ Und wenn ich in unserer Ehe über die Jahre etwas gelernt habe, dann die perfekte Interpretation kuhn’scher Tonlagen. Heißt: Es war einer jener Momente, in denen ein lässiges „Ich sitze, also bin ich“ eher keine Option gewesen wäre. Weil ein Wollen wir der Liebsten fast immer bedeutet: Ich will, daher sollten wir.

Peitschen und Brüllen

Aktiv werden nämlich. Jetzt. Mein Hinweis auf die instabile Wetterlage überall abseits dieses Stegs war der allerletzte Versuch, meine Füße zu belassen, wo sie sich aktuell am wohlsten fühlten: im Wasser. Mit derlei Widerspruch war ihre spontane Abenteuerlust jedoch nicht zu beeindrucken. Zumal eine Eventualitätsgigantin wie sie outfitmäßig sogar einem Hagelsturm im Amazonas-Delta trotzen könnte. Daher ließ sie sich in Anbetracht winterlicher Verhältnisse, die wir bald darauf in der Höhe vorfanden, auch nur ein „Pffff“ entlocken, als ich sie anbrüllte (nicht aus Zorn, sondern wegen des Sturms, der uns den Regen ins Gesicht peitschte): „Hab’ ich’s dir nicht gesagt?“ Das mag sie nicht hören. Stattdessen zauberte sie aus dem Rucksack (Marke Aufbruch vom Basislager 3 des Dhaulagiri zum Gipfelsturm über den Nordostgrat) zahllose textile Überlebenskunstwerke hervor. Auch für mich übrigens. Was ich in einem so großen Ausmaß als wohltuend empfand, das es mir unmöglich machte, es dankbar zuzugeben. Immerhin plädierte dann auch gnä Wanderkuhn rasch für einen Expeditionsabbruch. Weil: Am Ende geht’s halt doch immer um Warmherzigkeit.

michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9