Paaradox: Au weh! Oh je.
SIE
Schon wieder was passiert: erst sein Aufschrei, dann sein Wehklagen, möglicherweise auch ein paar unterdrückte Tränen. Dem Mann nebenan war das Brotmesser entglitten, es landete statt im Ciabatta im oberen Drittel seines knusprigen Mittelfingers. Sein Autsch klang wie von jemandem, der gerade ohne Narkose an mehreren hochsensiblen Körperstellen genäht wird – von desorientierten Medizinstudenten, die an Cannabisentzug leiden. „Schatzi!“, rief er und ich hörte darin sofort das Unheil. Mir war klar: Küchen-Erste-Hilfe wäre irgendwie angebracht.
Blut, Schweiß, Autsch
Doch erst einmal langsam, die akute Lage sondieren: „Was ist jetzt schon wieder?“, rief ich aus der linken hinteren Ecke der Wohnung, wo ich mir die Fußnägel lackierte. „Ich habe mich geschnitten!“, rief er. Ich, gerade mit dem Problem Kleinzehe beschäftigt, rief zurück: „Wie sehr?“. Er: „Sehr. Sogar sehr sehr. Kannst du bitte kommen?“ Eher kein idealer Moment, um auf das Behübschen der Füße nicht zu verzichten, also ließ ich die Malerei sein und hüpfte auf einem Bein in die Küche: Da stand der Mann, und rief: „Es blutet!“. Nachdem sich um ihn herum allerdings noch keine signifikante Blutlache gebildet hatte, meinte ich eher kalmierend: „Aber nicht so sehr, dass man einen Druckverband anlegen müsse und 144 bemühen müsse, oder?“ Er darauf, kläglich: „Ich weiß nicht, ich bin ja kein Doktor.“ Muss man auch nicht, um nach einem knappen Blick auf den Zwei-Millimeter-Schnitt festzustellen: Gefahren für Leib und Leben sehen anders aus. Also hüpfte ich ins Bad, fischte ein Kinderpflaster mit Zwergerlmuster aus der Hausapotheke, hüpfte wieder zurück, um ihn zu verarzten, vor allem aber, um ihn vor dem nahenden Kreislaufkollaps zu bewahren. Nun reichte ich ihm einen Klaren und mir einen Eierlikör. Anschließend malte ich mir die Fußnägel weiter schön. Tiefrot, eigentlich blutrot.
gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60
ER
Als ich mir das letzte Mal in den Finger schnitt, unterließ ich es trotz erheblichen Schmerzgefühls, Meldung zu machen. Auch, weil ich mir mitunter das kuhn’sche Augenrollen gerne erspare. Plus Bonmots zur Wehleidigkeit wie: Müssten Männer Kinder kriegen, wäre die Menschheit ausgestorben. Eine konjunktivische Debatte, die ich nur ein Mal geführt und leider viel zu spät wegen Sinnlosigkeit abgebrochen habe. Jedenfalls flitzte ich zur Pflaster-Suche ins Badezimmer und begann, mit einer Hand in zahllosen Kisterln zu wühlen und mich über das Sortiment unserer Hausapotheke zu wundern – von der Fußsalbe über Gallentropfen bis zu Vitamin-XYZ-Tabletten haben wir alles lagernd, was uns mindestens 120 Jahre alt werden lässt.
Heldenepos
Aber irgendwann wurde ich (mit einem Wenn einem Mann nicht alles entgegenfliegt im Hinterkopf) doch fündig und stellte mich der Herausforderung, das Pflaster seiner Bestimmung zuzuführen. Fluchend natürlich, weil: Das muss einem Verpackungskünstler erst einmal einfallen, den flotten Zugriff auf ein kleines Pflaster (Schachtel öffnen, Umschlag entfernen, Folien abziehen, …) so komplex zu gestalten, dass ein ungeduldiger Verwundeter schon mit zwei gesunden Händen an die Grenzen seiner Fingerfertigkeit gerät. Der Boden war natürlich längst mit lustigen Blutstropfen verziert, ehe ich endlich die Erstversorgung abgeschlossen hatte. Und dann kam die Liebste um die Ecke, hörte sich mein Heldenepos an und sprach aufreizend gelangweilt: „Was machst denn für ein Theater, frag’ halt mich.“ Und genau das tat ich diesmal. Ich rief blutend um Hilfe. Nicht ahnend, dass sich ihr Herbeieilen zum Gnadenakt entwickeln sollte. In aller weiblichen Überlegenheit hielt sie mir das klebebereite Pflaster hin und sagte: „Magst dann ein Bussi drauf, dass es nimmer wehtut?“ Aber ich antwortete nur: „Ah nein, muss nicht sein. Bis ich das nächste Mal heirate, ist es wieder gut.“