Paaradox: Abgespeist
Sie
Zugegeben, manchmal ist uns jetzt auch fad miteinander. Daher schlug ich dem Mann nebenan unlängst vor, dass wir doch einmal „Gast und Restaurant“ spielen könnten. Ich tu so, als wäre ich das Restaurant, also Küchenchefin, Servierkraft und Tellerwäscherin in einer Person. Er tut so, als wäre er ein Gast, der das Wohnzimmer betritt, freundlich „Guten Abend“ sagt, den Mantel ablegt und fragt: „Die Speisekarte bitte, was gibt’s denn heute Feines, Frau Wirtin?“ Was insofern nicht ganz abwegig ist, als es sich tagtäglich genauso abspielt. Der einzige Unterschied zur Realität: Ich bekomme keinen Cent Trinkgeld.
Was soll ich heute nur kochen?
Daher habe ich auch kein schlechtes Gewissen, wenn ich manchmal ein bisserl Speiseplan-los bin – verbunden mit der Frage: „Was soll ich heute nur kochen?“ Alles nicht so einfach, denn der Stammgast im Wirtshaus „Zur lustigen Gaby“ ist ein besonders anspruchsvoller. Einer, der gerne und oft die Nase rümpft und Sonderwünsche äußert: Bitte nix Letschoartiges, bitte nix mit Paradeisern, bitte nix zu Scharfes, bitte nix zu Fades, bitte nix ganz ohne Fleisch, bitte nix Trockenes, bitte nix mit Rosinen etc. Also sondiert Frau Wirtin aka gnä Kuhn an manchen Tagen bereits beim Frühstück, worauf der Herr an diesem Tag allenfalls Lust hätte. Daraufhin folgt immer ein kryptisches „Hm.“ Danach kommt eine Pause. Und ein noch kryptischeres „Hm.“. Irgendwann der magische Moment, in dem ein Hauch kulinarischer Genialität in der Luft liegt, als würde der Feinschmecker des Jahrhunderts zu mir sprechen: Irgendwas, das schnell geht. Von so viel kreativer Bescheidenheit bin ich dermaßen beeindruckt, dass mir auch ohne Zwiebelschneiden Tränen in die Augen steigen. Doch leider ist ihm mein „Fünf-Hauben-Butterbrot-mit-Schnittlauch-und-Salz“-Angebot dann auch nicht recht. In solchen Momenten verweise ich gerne auf den nächsten Würstelstand und hänge mir ein großes Schild um, auf dem steht: Heute Ruhetag!
gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60
Er
Ich esse gerne. Sehr gerne. Mitunter auch zu gerne (aber die Gallentropfen-Saga wird im Unterschied zum Gulasch durchs Aufwärmen nicht besser). Das Problem: Ich koche nicht gerne. Gar nicht gerne. Ich war also immer schon voller Bewunderung für sensible Herdeflüsterer, die den Vorgang der Zubereitung als Lustgewinn empfinden. Und nicht – wie ich – durch Kochrezepte, Küchenlogistik und Begriffe wie Nappieren und Blanchieren, Glacieren und Kannelieren, Reduzieren und Pochieren vor lauter Überforderung garantiert an einen emotionalen Siedepunkt gelangen. Der Weg ist das Ziel? In meinem Leben nicht. Da ist die genussreiche Nahrungsaufnahme das Ziel. Und je weniger ich dafür über Wege stolpern muss, desto besser.
Nimmersatt
Meine Frau ist das Gegenteil. Man könnte sagen, wir sind der klassische Fall von Topf & Deckel. Sie hat mir von der ersten Sekunde unseres Zusammenseins an offenbart, dass es für sie z. B. ausreicht, von den fünf auf dem Teller anwesenden Erdäpfeln nur drei zu essen. Gleichzeitig liebt sie es, sich in der Welt des Speisekomponierens zu verlieren. Das ist auch der Grund, warum wir ein überdimensioniertes Regal für Kochbücher besitzen (das im Übrigen jener Mann gezimmert hat, der auch Tischabräumen und Kücheputzen übernimmt ... jeder, was er kann). So experimentiert die Liebste regelmäßig mit Zutaten, Kräutern und Gewürzen, dass ich denke: Der Prozess der Beschleunigung von ionisierten Atomen in einem Kernforschungszentrum könnte kein größeres Staunen in mir auslösen. Und dennoch vergeht kaum ein Tag, an dem gnä Kuhn nicht die große Dinner-Frage stellt, mit einer Bedeutungsschwere im Blick, als müsste sie einen Impfstoff für nimmersatte Ehemänner entwickeln. Die Tücke dabei: Sie fragt gar nicht mich. Sondern nur sich selbst, allenfalls unter gnädiger Einbeziehung des Universums. Und sie findet meistens eine grandiose Antwort. Auch wenn die nur lautet: Es geht nix über einen dankbaren Esser.
michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9