Der Abstand zwischen den Eisextremisten schrumpft
Von Vea Kaiser
Neulich entdeckten mein Hund und ich beim Morgenspaziergang eine Gruppe erwachsener Menschen, die – im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte – bei minus zwei Grad und leichtem Schneefall ein Flussbad nahmen. Als ich das zuhause meinem lieben Gatten erzählte, glaubte er mir nicht. „Wahrscheinlich hat einer den Zeh reingehalten und du übertreibst schon wieder alles in Schriftstellerinnenmanier.“ Ich nahm ihm das nicht übel.
Mein Mann hat ein süditalienisches Temperaturempfinden. Unsere Heizung läuft durchgehend auf 23 Grad, lüfte ich, schreit er, und seine Winterjacke ist polartauglich. Seine Vorliebe für Hitze beeinträchtigt sogar unser Eheleben: Klettere ich zu ihm unter die Dusche, riskiere ich Verbrennungen. Und im Winter geht er mit Socken ins Bett.
Das Konzept des Eisbadens war für ihn schlichtweg unbegreiflich, also suchte ich im Netz Beweisfotos und stellte fest: Ich hatte kein einzelnes Extremistengrüppchen entdeckt, sondern eine Bewegung! In ganz Österreich baden diesen Winter unerschrockene Naturliebhaber in diversen Gewässern. Dies stärke das Immunsystem und danach fühle man sich wie ein neuer Mensch. Später erzählte ich meiner Mutter von meiner Entdeckung. „Ah, das ist doch ein alter Hut. Das machen bei uns im Ort einige!“, berichtete sie stolz. „Ich werd auch bald mitschwimmen. Ich bereit’ mich schon vor, indem ich barfuß durch den Garten geh’!“ Noch während wir sprachen, leitete sie mir kürzlich aufgenommene Fotos weiter, die Menschen in eisverzierten und schneeumwehten Gewässern zeigten.
Wenn die sich weiter vermehren, wird der brav eingehaltene Abstand von einem Faßmann im Wasser bald zu einem Faßmännchen.
Ich beendete das Telefonat mit einem Satz, den mir meine Mutter in der Pubertät fast wöchentlich gesagt hatte: „Meine Liebe, du musst nicht jeden Trend mitmachen – du bist wunderbar, so wie du bist!“