Kolumnen

Ein Glas voll Gallensteinen

Verwirrende Erkenntnis: Langsam werde ich ein bisschen so, wie meine Großmutter.

Ich mache mir Sorgen um Menschen, die mir wichtig sind. Als voriges Jahr ein lieber Mensch im Flugzeug um die halbe Welt reiste, verfolgte ich den Flug stundenlang auf Flightradar24.com. Ich starrte die ganze Nacht ein gelbes Flugzeug-Symbol an, weil ich mir dachte, wenn ich hinschau, kann nichts passieren. Als das Flugzeug-Symbol für ein paar Sekunden vom Schirm verschwand, bekam ich fast einen Herzinfarkt (es war nur eine Bildstörung).

Um meine Kinder sorge ich mich weniger, ich halte sie für unsterblich. Dabei ist es noch nicht so lange her, dass ein Freund meines Sohnes an Drogen starb (weil seine Begleiter in Panik wegliefen, anstatt die Rettung zu rufen). Aber man muss seine Kinder für unsterblich halten, sonst wird man wahnsinnig.

Unlängst meldete sich die Mutter meiner Kinder und klagte über unerträgliche Schmerzen im Bauchraum. Obwohl wir seit vielen Jahren glücklich geschieden sind, besteht zwischen uns ein festes Band. Wir beschlossen, zum Wohl der Kinder, keinen Rosenkrieg zu führen, und daraus wurde eine echte Freundschaft. Wir werden immer loyal zueinander stehen, schließlich haben wir einander vor 25 Jahren vor einem Altar versprochen, immer füreinander da zu sein. Meine Exfrau kam ins Spital und mailte mir bald: „Leberwerte entsetzlich schlecht, Leber arbeitet nicht, sie wissen nicht, was es ist.“

Soviel Angst habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt. Also nicht die etwas eitle Angst vor dem  Fliegen oder die Angst einer Panikattacke. Sondern würgende Angst.

Drei Tage später kam meine Exfrau weitgehend gesund, aber um eine Gallenblase leichter aus dem Spital, in der Hand ein Glas voll mit ihren Gallensteinen.

Da musste ich, endlich, lachen, und die Angst wurde wieder im Stall eingesperrt.