Kolumnen

44 Jahre Schule sind zu Ende

1974 kam ich in die Schule, 2018 maturierte meine Tochter. Das heißt (wenn ich zwölf Jahre, in denen ich weder Schüler noch Vater war,  nicht abziehe), dass ich mich 44 Jahre lang mit der Schule befassen musste. 44 Jahre brutto, 32 Jahre netto ging ich in die Schule.

Ich habe die Schule  vom ersten Tag an gehasst, ich empfand sie als Mordversuch an meiner Sensibilität, an meinem Interesse an der Welt und  an meiner Solidarität mit anderen. In der Volksschule hatten wir eine besonders schlimme Lehrerin, eine alte Nazi, die uns erklärte, 1945 hätten „wir den Krieg verloren“, aber seit 1955 seien wir „endlich frei“. Unsere Klassenbeste war ein Mädchen aus dem SOS Kinderdorf. Obwohl sie Klassenbeste war, schickte die Lehrerin sie nicht in die AHS, sondern in die Hauptschule, denn „bei mir kommt kein Kinderdorfkind ins Gymnasium“. Vor meinen Eltern hatte sie Angst, denn meine Eltern waren AHS-Lehrer. Ich kam problemlos ins Gymnasium, dabei war ich bei weitem nicht so gut wie unsere Klassenbeste.

Im Gymnasium lernte ich die Engstirnigkeit kennen (Einbahnregelung in den Stiegenhäusern und vermutlich auch beim Denken), ich lernte, wie entscheidend wichtig gute, engagierte Lehrer sind (und wie katastrophal schlechte).  Und ich war schockiert, wie veraltet der stets  weit am Kunden, also dem Schüler, vorbeizielende Lehrstoff war. Mathematik dominierte alles, obwohl ich auf eine neusprachliche Schule ging. Schlecht für mich, denn ich kann Zahlen nicht richtig unterscheiden.

Der Lehrstoff war uninteressant und fern von jeder aktuellen Relevanz. Oder hat es Ihnen jemals etwas genützt, dass Sie Kurven diskutieren können (was heißt das überhaupt – viel über die Kurve reden?), dass Sie wissen, was die Benrather Linie ist, dass Sie einen Ablativus absolutus bilden können.

Meine Tochter hat maturiert, damit hat in meinem 51. Lebensjahr die Schule endlich ihre Macht über mich verloren.