"Anderes Alphabet war kein großes Problem"
Von Heinz Wagner
Wo ist hier das Gleis für den Zug nach Linz? Wo kann ich Tierfutter kaufen? Wie geht es zum nächsten Kino? Wo ist ein Schuhgeschäft? Diese und andere Fragen – praktisch all mit der Suche nach einem Ort – stehen auf kleinen, schmalen, weißen Papierstreifen. Auf blauen Zettelchen stehen Berufe.
Jeweils eine oder einer von zwölf Jugendlichen zwischen 9 und 15 Jahren sollen eine Frage oder einen Beruf den anderen elf gegenüber pantomimisch darstellen. Also ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, müssen die anderen draufkommen, was gemeint ist. Es ist dies eine Übung beim Lokalaugenschein des Kinder-KURIER in einem der sogenannten „Alpha“-Kurse – „Lernunterstützung für Kinder mit Alphabetisierungsbedarf“ wie sie offiziell heißen.
Spielerisch in Deutsch eintauchen
Die erste Aufgabe – lesen der Fragen – verknüpften manche auch mit der Frage, was dieses oder jenes Wort überhaupt bedeutet. Die Hilfe erfolgte dann außerhalb des Kursraums im 3. Stock der VHS Brigittenau, damit die anderen ja nichts mitbekommen.
Die zweite Aufgabe – den Sinn der Frage oder das Wesentliche des Berufes zu erfassen – gelang allen pippi-fein. Im einen oder anderen Fall half ein Lehrer/eine Lehrerin als „Joker“ bei der Darstellung, wenn das sozusagen Publikum nicht so bald draufkam, was gemeint war.
Hintergrund
Gegen Ende des Corona-Shutdowns wurden sie von Stadt Wien, Bildungsdirektion und Wiener Volkshochschulen „aus dem Boden gestampft“ – zwei Mal in der Woche insgesamt fünf Stunden. Gedacht für „Seiteneinsteiger_innen“, Schülerinnen und Schüler, die vor weniger als zwei Jahren nach Österreich gekommen sind – und oft auch mit einer anderen Schrift – von Arabisch bis Chinesisch – aufgewachsen sind. Viele von diesen Jugendlichen der Sekundarstufe 1 bzw. aus Polytechnischen Schulen (also 5. bis 9. Schulstufe) litten doppelt unter dem Ausfall von Präsenz-Unterricht. Viele leben auch unter prekären bis ungewissen Bedingungen in Sachen Aufenthaltsstatus – weswegen die Erziehungsberechtigten der meisten auch keine Fotos in Medien sehen wollen.
Interviews
Als Ersatz dafür fertigte beispielsweise die 12-jährige Yurdi (Name auf ihren Wunsch geändert) eine Zeichnung an und wir durften sie währenddessen – mit ihren Haaren als Vorhang vor dem Gesicht – fotografieren. Sie erzählt dann im Interview, „ich habe schon zwei Deutschkurse gemacht, reden kann ich schon ganz gut, verstehen auch, das macht mir alles Spaß. Im Kurs hier kann ich aber Hilfe beim Hausübung-machen kriegen.“
Das schätzt auch Frank (13) besonders, der „in der Schule am meisten Deutsch liebt. Die Umstellung von chinesischen Schriftzeichen auf das Alphabet hier war für mich nicht so schwer“.
Rimela (15) und ihr 9-jähriger Bruder Cristi haben Rumänisch als Erstsprache – und damit keine Umstellung ihrer Schrift. Rimela weist auch stolz darauf hin, „dass ich neben Deutsch auch schon ein bisschen Englisch kann“. Am liebsten hört sie Musik, vor allem Rap. Am Kurs taugt ihr, dass sie hier Hilfe bei den Hausübungen bekommt. Der jüngere Bruder mag vor allem Sport und Mathe, mit Deutsch tut er sich „mittel“.
Mehrsprachig aufgewachsen ist Gim (15) – „mit kurdisch und arabisch in Syrien, aber die Umstellung von der arabischen Schrift, auf die hier war nicht so schwierig“. Er „liebt Mathe, in Deutsch brauch ich schon noch Hilfe, die bekomme ich hier – und auch bei Hausübungen“.
„Das mit der anderen Schrift war für mich egal“, sagt auch der ebenfalls 15-jährige Ayman, der ebenfalls aus Syrien kommt – und erst neun Monate in Österreich lebt. Übrigens ist auch sein Lieblingsfach Mathematik. „Hier im Kurs hab ich vor allem Hilfe in Deutsch“.
Übrigens in den Sommerferien bieten Wiens Volkshochschulen u.a. „Deutsch im Park“ an, Infos hier