Absurdes Theater: Eitel- und Überheblichkeiten schamlos bloß gestellt
Von Heinz Wagner
„Nikolausi – Osterhasi“ – der bekannte Streit, der harmlos beginnt und heftig eskaliert, ist wahrscheinlich bekannt – Link zu einer Version mit dem Kabarettisten und Schauspieler Gerhard Polt unten. An dieses herrliche Beispiel wie ein von außen betrachtet nichtiges Thema fast in gegenseitiges an die Gurgel-Gehen endet, erinnert eine der vielen Szenen des spielfreudigen und aufführungsreifen Daniil-Charms-Abend „Die Schamlosen“ im Theater Arche.
Dieser Tage fand sozusagen eine „Geister“-Premiere statt, wie das Kinder- und Jugendtheaterhaus Dschungel Wien solche Vorstellungen nennt. Natürlich proben Theaterleute auch wenn sie noch immer nicht wissen, wann sie vor Publikum spielen dürfen. Wer ein Instrument spiel, muss dies ja auch dann tun, wenn keine Auftritte möglich sind, um es dann auch wirklich zu können, wenn wieder einmal Publikum zuschauen und –hören darf.
Teamwork
Also, Daniil Charms, ein Meister absurder Miniaturen. Diesem erst spät entdeckten russischen Dichterund Zeichner hatte das TheaterArche schon vor fast drei Jahren einen Abend gewidmet. Regisseur Nagy Vilmos, ein sehr guter Kenner von Charms‘ Werken hat in diesem Fall gemeinsam mit zehn Schauspielerinnen und Schauspielern - Valerie Anna Gruber, Alena Hermann, Eszter Hollósi, Elisabeth Kofler, Astrid Perz, Charlotte Zorell, Nicolaas Buitenhuis, Max Glatz, Florian-Raphael Schwarz, Maksymilian Suwiczak – diesen Abend erarbeitet und erspielt. Gut ein Drittel musste gekürzt, um mit zwei Stunden (eine Pause) auszukommen.
Alle Beteiligten zeigten sich dem Kinder-KURIER gegenüber mehr als angetan von den Probenwochen, die sie genossen haben. So schön absurd und witzig die Arbeit, so versichern sie – und das Ergebnis – vor einer Handvoll Zuseher_innen - ist jedenfalls so.
„Daraufhin“ oder nicht
So, endlich zum Charms’schen Osterhasi/Nikolausi, inszeniert als Art Parlaments- oder anderer Versammlung, geht der Streit um das Wörtchen „daraufhin“. „Leonidow: Ich behaupte: Wir näherten uns ihm, da hat er sich entfernt und ist daraufhin gegangen. Grigorjew: Ja, er ist gegangen, aber nicht daraufhin.“ Ein Satz gibt den anderen, immer lauter, immer heftiger. Ergänzt um zwei Chöre, die das Geschehen mit den selben Sätzen kommentieren. ;)
Jede und jeder – sobald das dann möglich sein wird, geplant ist ab 24.Mai – wird wohl selbst die Verbindungen zu ähnlichen Streitigkeiten ob im Privaten oder im Politische-Gesellschaftlichen herstellen. Vielleicht auch die zur seit einem Jahr fast absurd anmutenden Ausnahmesituation in der sich praktisch die gesamte Welt befindet.
Der Regisseur findet ja die Schlüsselszene sei „Es ist schon 7 Uhr“. Ein Mann wacht auf und alles ist aus dem Ruder gelaufen. Nicht, dass er abends zuvor vielleicht zu viel gesoffen hätte. Gewand und Stiefel weg, obwohl abends zuvor auf den Sessel gelegt... Als wäre von einem Tag auf den anderen alles durcheinander …
Parallel-Gesellschaft
Aus dem Spiel während der Proben und Inputs des Regisseurs entstanden auch völlig schräge Kombinationen. Im vorderen Teil der Bühne spielt ein Schauspieler die „Erinnerungen eines weisen alten Mannes“ ausladend. Wie in vielen Texten von Daniil Charms wird extremes Macho-Protzgehabe voll aufs Korn genommen - und das vor 100 Jahren. Parallel dazu zerdehnt im Hintergrund eine Schauspielerin einen Kürzest-Text von nicht einmal drei Dutzend Wörtern über ein altes Männlein das sich kratzte, zu einem gleichlangen verrückten Spiel aus diesen Worten und schrägen passenden Bewegungen.
Wortklauberei, oder?
Jene Menschen und Verhaltensweisen, die sich wichtig nehmen, sind in vielen Texten Zielscheiben der Entlarvung, selbst wenn sie sich als scheinbar bescheiden geben – etwa in „ich weiß nicht, warum alle denken, ich sei ein Genie“… Sprachverliebtheit ist ein weiteres Kennzeichen Charms’scher Texte, besonders auffällig in „Einmal war ich im Staatsverlag“, in dem er die Formulierung „den Augenblick einfangen“ zerlegt und gedankenverspielt absurd als unmöglich demaskiert.
Opern-Parodie
Eine szenische Meisterleistung ist die Umsetzung eines weiteren ziemlich kurzen Streitgesprächs: „Jetzt werde ich dich schlagen!/Nein du wirst mich nicht schlagen“. Hier in Form einer Uralt-Opern-Inszenierung, die heute fast wie eine Parodie darauf wirkt, nutzen die beiden Darsteller_innen auch die vier Türen der Bühnenrückwand. Jeder Satz fast eine ganze Arie – samt Verfolgung einmal in Slow Motion und einmal fast comichaft in geraffter Zeit.
Biblisch geht’s gegen Ende zu als der Sündenfall mit dem Apfel vom Baum der Erkenntnis durch den Künstler der das Bildnis schuf, Meister Leonardo, eine ganz andere Version erfährt.
Weitere Texte und Bilder
Der höchst amüsante Abend mit viel Tiefgang erfährt noch zwei Erweiterungen. Ergänzend zu den Szenen zu Charms-Texten liest hinter dem Auditorium eine Schauspielerin zwischendurch Texte von Bert Brecht, Herbert Achternbusch, Carolin Emcke (Gegen den Hass), Friedrich Nietzsche und Yasmina Reza (v.a. bekannt als Autorin von „Der Gott des Gemetzels“).
Und hinter den Szenen sind immer wieder an die Wand projizierte graphische Bilder von Christoph Raffetseder eingeblendet. Die meisten schwarz/weiß, etliche in der Art von Holzschnitten. Manche seien durch antike griechische Mythen inspiriert, sagt er nach der „Geister“-Premiere zum Kinder-KURIER. Die Bilder habe er schon gehabt. Der Künstler ließ dem Regisseur freie Hand, wie und wo er sie einsetzt. Dieser orchestrierte gekonnt Szenen und diese Bilder als wären viele davon extra dafür gezeichnet worden.
Erleichtert und vor allem befreit wirkte das Ensemble, endlich, wenn auch nur vor wenigen, dafür umso enthusiastischeren Zuschauer_innen gespielt zu haben – „und diese Energie aus dem Publikum zu spüren“. Freut euch Leute, auf diesen Abend – und lasst so manches davon auch noch nachwirken ;)
Die Schamlosen
Szenische Collage über Schein und Sein
nach Daniil Charms
Ca. 2 Stunden, eine Pause
Idee, Regie, Dramaturgie: Nagy Vilmos
Darsteller*innen: Valerie Anna Gruber, Alena Hermann, Eszter Hollósi, Elisabeth Kofler, Astrid Perz, Charlotte Zorell, Nicolaas Buitenhuis, Max Glatz, Florian-Raphael Schwarz, Maksymilian Suwiczak
Regie-Assistenz: Odilia Hochstetter, Corinna Orbesz
Graphics: Christoph Raffetseder
Ausstattung: Christian Alfred Kahrer (Kostüm-Werkstatt Wien)
Technik und Bühne: Jakub Kavin, Bernhardt Jammernegg
Wann & wo?
Wenn's wahr ist, zumindest geplant udn voll premieren-reif
24. bis 30. Mai 2021; jeweils 19.30 Uhr
Theater Arche: 1060, Münzwardeingasse 2a
office@theaterarche.at
theaterarche.at -> Die Schamlosen
aber erst, wenn sie die daten ergänzt haben