Leben

Veganes Eis? Alles nur ein großer Hype

Ich bin ja einiges gewohnt: Als Bewohner eines Wiener Bezirks, der als Bobo-Zone gilt, erlebe ich tagtäglich, was es heißt, vermeintlich „hip“ zu sein. Dazu gehört etwa, Smoothies als Grundnahrungsmittel in den Kühlschrank aufzunehmen, Grünpflanzen im Guerilla-Stil in kleine Straßenbeete zu setzen und sonntags verschlafen im Pyjama Zeitungen zu holen. Immerhin kleiden sich Bobos bisweilen ganz schick, insofern ist das durchaus inspirierend. Und es ist ja nicht so, als würde mich dieses Flair stören, im Gegenteil, es macht das Leben ganz schön bunt. Alles kann, nichts muss. Von dieser Art zu leben, können sich andere Stadtteile von Neubau einiges abschauen.  Auch die Dichte der Lokale mit veganer Speisekarte ist erfrischend, und wer wie ich gerne mal Neues auf dem Teller probiert, fühlt sich in den Gassen des Bezirks wie auf einem Abenteuertrip. Vegane Burger schmecken selbst Nicht-Veganern wie mir, das muss ich ehrlich eingestehen.

Dass diese Experimentierfreude aber nun Sommer für Sommer bis in die Eisgeschäfte reicht, geht dann doch zu weit. Mutwillige Kreationen mit teils noch mutwilligeren Namen wirken mehr gezwungen als gewollt. Müssen wir jeden Trend mitmachen? Bestimmt nicht. Ins Eis gehören Milch und auch Sahne wie der Topf zum Deckel. Manche Rezepte sollten einfach so bleiben wie sie sind. Und was das Aroma betrifft: Es mag Menschen geben, denen veganes Eis wirklich besser schmeckt. Ich gehöre definitiv nicht dazu. Eis und seine Rezeptur ist seit Jahrhunderten erprobt und beliebt. Cremig, saftig, frisch. Im veganen Eis fehlt das gewisse Etwas, es mutet fahl und langweilig für mich an. Da kann selbst der kreativste Sortenname nicht helfen.

Sie denken sich jetzt vielleicht: Solange es die klassischen Sorten Schokolade, Vanille, Erdbeer, Stracciatella (hmmm!) und Co. weiterhin gibt, könnte mir ja egal sein, was sonst noch in der Auslage angeboten wird. Stimmt. Aber es geht um mehr als um Sorten. Ich gönne allen Eis-Fans jedes neue Erlebnis. Was stört, ist der Hype drumherum, die Belehrungen, wie gesund vegan doch sei (was immer wieder zur Diskussion steht), und die schiefen Blicke auf alle, die trotzdem „normales“ Eis am Tresen bestellen („Gesundheitsbanausen!“). Von wegen. Es geht schon lange nicht mehr darum, ob gesund oder nicht oder wer welche Lebensmittelunverträglichkeit hat. Bei letzterer ist außerdem deutlicher zu unterscheiden. Laut Peter Schmid, Leiter der Allergiestation an der Dermatologischen Klinik des Unispitals Zürich, glauben mehr Menschen an Intoleranzen zu leiden, als tatsächlich der Fall ist. Wirklich Betroffene sind von der Kritik hier natürlich gänzlich ausgenommen.

Es ist cool geworden, Veganes zu bestellen. Und das sollen alle sehen – vorzugsweise auf Instagram und auch außerhalb von Bobo-Land. Soll sein, doch bitte ohne erhobenen Zeigefinger! Bobo stammt übrigens von „bourgeois bohemians“. Der Begriff wurde 2000 von einem Kolumnisten der New York Times, David Brooks, geprägt, der sich und die US-amerikanische Oberschicht  so bezeichnete. Ihr Lebensstil führte zusammen, was als unvereinbar galt: Reichtum und Rebellion, Denken der Hippies und Geist der Yuppies. So schreibt es Wikipedia. Wo, wenn nicht in Bezirken wie Neubau, könnte veganes Essen also zu so einem Run ansetzen und zu so einer Kontroverse führen. Leben und leben lassen – finden Bobos, und sie sind stolz darauf. Also kommt bei mir weiter Eis in die Tüte, aber nicht vegan.