Thomas Brezina über Begeisterung
Von Barbara Reiter
Herr Brezina, was tragen Sie da für ein Band um den Arm?
Das ist Bernstein. Er steht für Optimismus und Positivität.
Ist Ihre positive Ausstrahlung der Grund, warum Sie mit Kinder so gut können?
Ich habe einfach großen Respekt vor Kindern. Von Geburt an hat jedes Kind seinen eigene Persönlichkeit und ich habe mir immer verboten, die überhebliche Erwachsenenposition einzunehmen. Ich will Kinder nicht belehren. Sie sollen eine großartige Zeit haben, wenn sie etwas von mir sehen oder lesen. Mein Anspruch ist die Begeisterung.
Aber so ganz ohne Regeln geht es bei Kindern ja auch nicht.
Ich habe natürlich leicht reden, weil ich keine eigenen Kinder habe. Aber meine Aufgabe ist die des Beobachters. Man muss erkennen, dass ein Kind zwar nicht die Erfahrung und Übung eines Erwachsenen hat, aber deswegen nicht blöd ist.
Bereuen Sie, keine Kinder zu haben?
Ich habe einen enormen Schaffensdrang und auch eine gewisse Unruhe in mir. Ich lebe zwei Drittel des Jahres in London und ein Drittel in Wien. Ich mag das Pendeln, weil es in meinem Kopf alles in Bewegung hält. Für die Verantwortung eines Kinder hatte ich bisher nie die Ruhe. Aber man weiß ja nie, was morgen ist.
Was hat London, was Wien nicht hat?
Ich wollte mich vor zwanzig Jahren einfach mehr zurückziehen. Damals war der Trubel um mich in Wien sehr groß. Als ich dann durch Zufall in London auf einer Programmmesse war, habe ich mich dort auf Anhieb wohl gefühlt. Ich stand in einem Hotelzimmer und dachte mir: „Hier könnte ich schreiben.“ London ist ganz klar die Stadt, die mich inspiriert. Ich lebe dort ein beschauliches, konzentrierte Leben und arbeite bis zu zehn Stunden pro Tag. Sonst treffe ich Freunde, auf Partys gehe ich kaum. Das ist nicht meine Welt.
Gibt es noch einen Bezug zur Stadt?
Ich habe als Kind Unmengen gelesen. In der Schule standen leider die ganzen deutschen Klassiker auf dem Lehrplan. Damit konnte ich aber nie etwas anfangen und ich habe aufgehört, zu lesen. Meine großartige Englischlehrerin, bei der ich maturiert habe, hat dann meine Liebe zur englischen Literatur geweckt.
Was hat Ihnen besonders gefallen?
Einfach alles. Wilkie Collins ist überhaupt mein Lieblingsautor. Er hat den ersten Krimi der Welt geschrieben hat und war der beste Freund von Charles Dickens. Ich wusste ja damals nicht, was aus mir wird, aber mich hat die Erzählweise fasziniert. Da wurden Geschichten erzählt und ein Geschichtenerzähler bin ich ja auch.
Mittlerweile liegen Sie bei 500 Kinderbüchern. Wie schafft man das?
Der Schreibprozess ist relativ anstrengend, aber das Kreieren von Geschichten ist höchste Lust. Ich muss es einfach tun! Der Künstler Gottfried Kumpf ist einer meiner engsten Freunde. Er steht um fünf Uhr früh auf und malt. Und wenn er auf Urlaub fährt, lässt er den Block zu Hause, weil er sich denkt: „Jetzt einmal nicht.“ Aber nach drei Tagen sagt er zu seiner Frau: „Können wir bitte einen Block kaufen gehen?“ Dann sitzt er wieder und malt.
Trotzdem: Eine enorme Leistung.
Nur um ein Beispiel zu nennen: Mozart hat im letzten Jahr seines Lebens drei Symphonien in einem Sommer komponiert. Und Leonardo da Vinci, der für mich einer der Größten ist, hat Tag und Nacht etwas gemacht – bis zum letzten Atemzug. Als er im Sterben lag, kam der König von Frankreich zu ihm und da Vinci meinte: „Ich kann nicht sterben. Ich habe in meinem Leben nichts geschafft.“
Thomas Brezina hat 500 Bücher geschrieben. Sie sind in 35 Sprachen erschienen. Er bewahrt sie in einem eigenen Zimmer auf.
Zweifeln Sie auch manchmal an sich?
Ja, auch nach 500 Büchern noch. Der englische Krimiautor Ian Rankin hat für die BBC die Entstehung seines neuen Romanes dokumentiert. Dabei erzählt er, dass es bei jedem Buch eine Stelle gibt, an der er glaubt: „Sinnlos, das wird nichts.“ Dann geht er zu seiner Frau und sie fragt nur: „Seite 64?“ Und er sagt: „Es ist immer Seite 64.“ Dann fangen beide an zu lachen und das Problem ist gelöst. Ich denke auch oft, dass mir nichts mehr einfällt. Man muss lernen, damit umzugehen.
Haben Sie einen Schreibtrick?
Die Kunst ist, in den „Flow“ zu kommen. Das braucht Disziplin und Übung. Mein Trick ist, immer mitten im Satz und mitten im Kapitel aufzuhören. Ich notiere mir nur, wie es am nächsten Tag weitergehen soll, ich schließe aber nichts ab. So fällt mir der Einstieg wieder leichter. Und: Ich schreibe mit der Uhr. 1.000 Wörter in einer Stunde, egal wie sie sind. Wenn ich manchmal früher fertig bin, mache ich eine Pause und trinke Kaffee. Dann schreibe ich die nächsten 1.000 Wörter. Viele englische Kollegen machen das so.
Die Methode funktioniert. In China, heißt es, verkaufen Sie sich besser als J. K. Rowling. Macht Sie das stolz?
Vergleiche sind immer tödlich. Deshalb versuche ich mich, davon fernzuhalten und konzentriere mich auf das, was ich mache. Das kommt nicht von alleine. Da muss ich mich immer wieder disziplinieren. Ich frage mich dann einfach: Was kommt als nächstes?
Sie gelten in China als meistverkaufter Autor. Wie kam es dazu?
Es geht um das richtige Buch, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. In China ist vor zehn Jahren das Selbstbewusstsein der Kinder zum ersten Mal erwacht. Die Kinder in meinen Büchern sind auch extrem selbstbewusst – in der Form, dass sie Sachen erleben, die man sonst nicht erlebt. Das hat den chinesischen Kindern getaugt. Außerdem waren die Bücher interaktiv, was es vorher noch nicht gab.
Was sagen Sie dazu, dass viele Kinder im Internet surfen, anstatt zu lesen?
Es bringt nichts, das Internet zu verteufeln. Meine viel gerühmte Tante Mitzi hat mir mit 94 Jahren erzählt, dass man zu ihr als Kind gesagt hat: „Lies nicht so viel, sonst verdirbst du dir die Augen.“ Heute sind alle dankbar, wenn Kinder überhaupt noch lesen. Ich glaube, es geht darum, Kindern die Aufgabe und Nutzung verschiedener Medien nahe zu bringen. Erwachsene müssen den Konsum in gewisse Bahnen lenken. Aber ich gebe zu: Das ist nicht ganz leicht.
Sie haben etwa 45 Millionen Bücher verkauft. Angenommen, Sie bekommen pro verkauftem Buch nur einen Euro. . .
Vergessen Sie es. Ich bin kein Multimillionär. Den größten Teil der Auflage habe ich in China, wo ein Buch einen Euro kostet – wie in vielen anderen Ländern übrigens auch. Davon kriege ich ein paar Cent. Ich finde diese Rechnerei aber generell nervtötend und saublöd. Was ich geschaffen habe, wird in Österreich immer nur am Geld gemessen. Das regt mich auf. Bei uns ist Neid die höchste Anerkennung, was wirklich sehr mühsam ist.
Neid muss man sich verdienen. Worauf führen Sie zurück, dass sie geschafft haben, wovon andere nur träumen?
Auch ich gehe als Schriftsteller durch viele Höhen und Tiefen. Trotzdem scheint es, als sei irgendwo in mir eine sehr starke positive Kraft. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich definiere Erfolg ganz sicher nicht über Status oder Geld. Meine Beobachtung ist, dass viele erfolgreiche Menschen mit Begeisterung an Dinge herangehen und selbstreflektiv sind. Sie suchen Fehler bei sich und nicht bei anderen. Ich glaube aber auch, dass man das, was man erreichen will, verinnerlichen muss.
Wie könnte das funktionieren?
Im Gespräch mit Freunden sagt oft jemand: „Es muss alles anders werden. Ich muss irgendwie ins Fliegen kommen.“ Ich meine dann: „Ja, aber wie?“ Das Wichtigste ist, sich darüber klar zu werden, wohin man will.
Hatten Sie in jungen Jahren Ihren Erfolg vor Augen?
Sich auf Erfolg zu fokussieren, halte ich für das erste schwere Versagen. Das würde ich nie! Es geht darum, das zu tun, was einem unglaublichen Spaß macht – und den hatte ich immer. Als ich damals für das Radio jede Woche ein Hörspiel geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, der König der Welt zu sein. Rückwirkend war der Abschnitt aber eigentlich sehr klein.
Seit zwei Tagen sind Sie 51 Jahre alt. Haben Sie sich an das neue Lebensjahrzehnt schon gewöhnt?
Da lebe ich nach dem Motto einer Freundin. Alter ist nur eine Nummer und meine steht nicht auf der Liste. Es gibt aber eine wichtige Frage, die ich mir seit dem 50er immer stelle: Was will ich wirklich? Ganz einfach, weil das Leben endlich ist.
Noch eine Frage zum Schluss: Was wurde eigentlich aus ihrem Schnurrbart?
Der ist längst Geschichte. Ich hatte ihn, seit mir ein Bart gewachsen ist und er war schon so etwas wie ein Markenzeichen. Als mich dann vor 13 Jahren jemand gefragt: „Wie schaust du eigentlich ohne aus?“, habe ich gesagt: „Gute Frage. Ich weiß es nicht.“ Dann habe ich ihn abgenommen.
Vermissen Sie ihn?
Ganz sicher nicht. Obwohl ich mich noch genau daran erinnern kann, als ich ihn abrasiert habe. Man hat das Gefühl, eine Oberlippe wie ein Walross zu haben. Ich habe mehrere Wochen gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Das glaubt man gar nicht.