Pro & Contra: Klobige Winterstiefel - Musthave oder Fauxpas?
PRO
Wie viele andere Jugendliche auch, habe ich mit 14 Jahren eine doch recht intensive Punkrock-Phase durchgemacht. Zuhause lief "Schrei nach Liebe" von den Ärzten in Endlosschleife (sorry, Mama!), das Make-up wurde dunkler, die Hosen wurden weiter und die Boots derber. Meine schwarzen Stiefel von Dr. Martens trug ich bei 30 Grad im Schatten genauso wie bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt. Nur bei Regen waren sie irgendwann nicht mehr vertretbar – ich hatte sie so beansprucht, dass sich entlang der Sohle lauter Löcher gebildet hatten. Meine Mutter zog schließlich die Reißleine und entsorgte meine treuen Begleiter.
Meine Outfits wurden mit der Zeit weniger düster, meine Liebe zu derben Stiefeln blieb. Mein 14-jähriges Ich bekommt noch heute glänzende Augen, wenn es das Gefühl hat, endlich das perfekte Paar in einem Store entdeckt zu haben. Ich gebe zu, das kommt regelmäßig vor. Meine Sammlung ist stattlich – und angesichts des aktuellen Hypes rund um sogenannte Chunky Boots, den derbsten unter den derben Stiefeln, dürfte es bald Zuwachs im überquellenden Schuhschrank geben (sorry, liebster Ehemann!). Objekt der Begierde: ein Modell des italienischen Luxuslabels Bottega Veneta. Mit sanft gehauchten Sätzen wie "Hast du nicht schon genug Schuhe?", versucht mich meine bessere Hälfte seit Wochen von dieser Idee abzubringen. Warum ich der felsenfesten Überzeugung bin, dass ich noch eines brauche? Weil derbe Boots jene Schuhe sind, die mir zu jedem meiner Outfits gefallen.
Ich trage sie zu Röhrenjeans und Blazern oder Röcken und Strickpullovern. Sehr feminine Looks, wie beispielsweise Blumenkleider, wirken im Stilbruch zu klobigem Schuhwerk sogar noch interessanter. Wer in Cocktailkleidern das Gefühl hat, aufgetakelt auszusehen, kann mit einem Hauch Punkrock an den Füßen für einen optischen Ausgleich sorgen – und den Abend ganz nebenbei auch ohne Fußschmerzen genießen. Ganz gleich ob dieser Schuhtrend sich als Eintagsfliege erweist oder nicht – auf High Heels kann ich auch künftig verzichten.
CONTRA
Ich dachte immer, Karottenhosen wären die größte modische Verirrung aller Zeiten gewesen. Die trug man in den 1980ern, jene Ära, in der ich wie Nena aussehen wollte und Blazer mit Schulterpolstern anzog, die mich wirken ließen wie Krystle Carrington aus der TV-Serie der "Der Denver-Clan". Ich fand das lässig, genauso wie die Tatsache, dass ich zu jedem Outfit urlustige Stulpen trug – sogar zu Kleidern. Aber gut, ich bin damals auch zu Aerobic-Videos von Jane Fonda herumgehüpft, in glitzernden Ganzkörperanzügen und habe meinem Freund eine schmale Lederkrawatte geschenkt (die er zu seiner Karottenhose trug).
Jetzt also Chunky Boots, die Schuh gewordene Karottenhose, im angesagtesten Chunky-Boot-Superbock-Schwarz. Was für ein Auftritt! Weil’s irgendwie mondän klingt, wenn eine sagen kann: Pfuh, ich bin seit voriger Woche Besitzerin dieser suprigen Chunky-Boots von Prada, geil. Ich denk mir da halt: Gäbe es nicht dieses Englisch, müsste die Gute irgendwas von "klobig" murmeln und sich von Freundinnen fragen lassen, warum jemand ein Vermögen in einen Klotz am Bein investiert.
Aber so. So ist man jetzt halt trendbewusste Chunkyboot-Trägerin – dicke Sohle, dicke Lippe. Zumal ja auch die Influencer darauf schwören – eine schreibt auf Instagram: Diese Chunky Chelsea Boots sind der vollvolle Knaller. Wie poetisch, wenn das nicht alle in der Sekunde inspiriert, ihre zarten Fesseln in dicke Dinger zu packen, Himmel, dann weiß ich auch nicht. Dazu Cargohose, und da ist er schon, der "coole, voluminöse Effekt." – Um ehrlich zu sein: Ich hab’s ja schon länger nicht mehr so mit dem Voluminösen. Auch was das Schuhwerk betrifft: Bequem und flach, sehr gerne – und das, obwohl Victoria Beckham mal wissen ließ: Ich kann mich in flachen Schuhen nicht konzentrieren. Hui! Und dennoch: Stiefel, die mich so aussehen lassen wie eine Legofigur: Nein, danke, auf dieses Mode-Statement verzichte ich sehr gerne.
Oh, da fällt mir ein: Ich hab noch diese orange-grünen Moonboots im Keller, in einer Kiste mit der Karottenhose. Aber das ist eine andere Geschichte.