Eine Reise zu den Polarlichtern
So aufgeklärt, abgeklärt und allwissend wir auch sind. Stehen wir unter einem Firmament, wo in jeder Ecke ein Polarlicht leuchtet, sind wir vor allem einmal eines – ganz ruhig. Entweder vor Staunen. Oder vor Schreck. Denn so etwas hat man noch nie gesehen. Weder im Science-Fiction-Kino noch durch die Virtual-Reality-Brille. So etwas sieht man nur in der Natur. Und nur im Norden.
Samstagnacht in Kirkjufell an der Westküste Islands. Ganz hoch am Himmel gerät alles in Bewegung. Die Farben rauschen nur so vorbei. Ein Regen aus buntem Licht, Grün, Blau, Rot, mit allen Zwischenstufen. Es flirrt, es wabert, es irrlichtert. Begleitend dazu würde man ein Donnern erwarten. Oder ein Grollen. Aber es herrscht absolute Ruhe. Wie von Zauberhand bewegt sich über den Bergen ein Vorhang aus atemberaubendem Leuchten. Ein Naturspektakel im XXXLarge-Format und in totaler Stille.
Alltag für Isländer
Auch wenn wir in Mitteleuropa uns manchmal an einem schwachen roten Leuchten am Himmel erfreuen können: Die volle Show gibt’s nur im Hohen Norden. Wer ein richtig gutes Polarlicht erleben will, so sagt die Wissenschaft (siehe Interview, S. 20), muss reisen. Nach Norden und dann immer geradeaus. Je weiter, desto besser. Zwischen 66. und 74. Breitengrad sind die Bedingungen ideal. Da sind wir dann schon im Polarkreis, Mittelgrönland, Zentralalaska - oder der Norden Norwegens und Finnlands. Und Island natürlich.
Aber: Wer so weit reist, bekommt dafür wirklich etwas zu sehen. Und immer mehr Winterurlauber sind bereit dafür, wollen die mystischen Nordnächte selbst erleben. In den letzten Jahren machen sich vor allem asiatische Winterurlauber auf den Weg in den Hohen Norden. Denn, so Nordlicht-Experte Andreas Pfoser, in Japan und China wird der Aurora Borealis geradezu mythische Macht zugeschrieben: Babys, die in deren Licht gezeugt werden, sollen außerordentlich hübsch und klug werden.
Ein netter Irrlaube
Ein Irrglaube, dem allerdings gebürtige Isländer nichts abgewinnen können. Die stehen dem Phänomen abgeklärter gegenüber. Jóhanna Pálsdóttir-Mumelter, die in Tirol als „Island-Profi“ in die Touristik-Branche gewechselt ist, sagt dazu: „Für uns sind sie Alltag. Wenn auch schöner Alltag. In meiner Heimat in Ost-Island lagen wir als Mädchen stundenlang im Schnee und beobachteten die Nordlichter. Das war in den dunklen isländischen Wintern eine willkommene Abwechslung. Aber eben nicht mehr.“
Wikinger, Inuit und Samen
Diese Abgeklärtheit mussten sich die „Wikinger“ allerdings auch erst einmal erarbeiten. Ihre Vorfahren, also die, die mit langen blonden Bärten, langen Zöpfen und noch längeren Schwertern die halbe Welt unsicher gemacht haben, sahen in den Polarlichtern ein geradezu göttliches Spektakel: Das Mondlicht, so meinten sie, spiegle sich in den glänzenden Rüstungen ihrer gefallenen Helden, während die von den schönen Walküren zum nie endenden Festmahl mit Ober-Gott Odin geleitet werden.
Die Inuit, also die Ureinwohner Alaskas und Grönlands, dachten hingegen, der Grund für die Lichter wäre ein besonders fröhliches Ballspiel ihrer Vorfahren im himmlischen Jenseits. Die melancholischen Samen Skandinaviens sahen darin wiederum das Zeichen eines herannahenden Unheils.
Aurora über Austria
Eine Reaktion, die auch aus Österreich bekannt ist. Ende Jänner 1938 wurden in einer Nacht auf einmal Tausende Menschen Zeugen eines in diesen Breiten offenbar noch nie erlebten Naturschauspiels. Ob ein möglicher Waldbrand oder eine sonstige Katastrophe: Am Himmel über Westösterreich tanzende blutrote Lichterscheinungen wurden als eine herannahende Kriegsgefahr gedeutet. Und manifestierten sich besonders im Nachhinein als frühe Zeichen für die nachfolgenden Gräuel des Zweiten Weltkriegs.
Zum Glück ist man heute weit entfernt von damaliger Dramatik. Pfoser: „Die Wikinger hatten angesichts dieses Phänomens geglaubt, die Götter zürnen und es seien deren Schwerter, die das Licht am Himmel reflektieren.“ Umso mehr haben sie sich gewundert, warum dieser weithin sichtbare Zorn stumm verhallte und – mehr noch – dem seltsamen Licht absolut kein Grollen folgte.
Reisen zum Nordlicht
Die Furcht ist längst der Freude gewichen. Die gebürtige Isländerin Johanna Pálsdóttir-Mumelter berichtet von einem regelrechten Boom an Nordlicht-Reisen. „Während vor einigen Jahren noch hauptsächlich für die Hauptsaison Mitte Mai bis Mitte September gebucht wurde, bevorzugen viele unserer Kunden die Nebensaison in den Reisemonaten Oktober bis Februar.“ Neben den „ausgezeichneten Chancen, das grün schimmernde Farbenspiel zu erleben“, gelten Hundeschlittenfahrten, Ausritte auf Island-Pferden und Snowmobil-Touren als besondere Reize.
Ein Grund für diesen Wechsel ist dem Wellness-Boom geschuldet. „Unter dem Nordlicht-Himmel vergisst man die Hektik des Alltags und man ,kommt so richtig runter’, meint sie. Durchaus mit einem weinenden Auge. Denn genau dieses „heilende“ Gefühl vermisst sie mitunter selbst.
Johanna Pálsdóttir-Mumelter: „Ich bin nun seit über 20 Jahre in Österreich und sehne mich manchmal nach diesem Zauber, der eine unheimliche Ruhe ausübt.“
Expertenfragen
Dr. Ramon Egli von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik über das Phänomen Polarlichter.
Freizeit : Müssen uns Polarlichter heute Angst machen? Nicht weil wir wie frühe Naturvölker mythologisches Unheil darin sehen, sondern etwa als Zeichen der Klimaerwärmung?
Ramon Egli: Nein. Das auf keinen Fall. Polarlichter sind ein Phänomen, dessen Auftreten ausschließlich von der Sonnenaktivität abhängt, das hat nichts mit dem Erdklima oder dem -Austoß oder derartigen Dingen zu tun.
Wie darf man sich die Entstehung dieses Spektakels am nächtlichen Himmel vorstellen?
Der Ursprung liegt im sogenannten Sonnenwind. Die Sonne emittiert nicht nur Licht, sondern auch geladene Elementarteilchen, also Protonen und Elektronen. Die fliegen mit hoher Geschwindigkeit, etwa 300 bis 700 Kilometer in der Sekunde, durchs All. Wenn sie nach drei bis acht Tagen die Erde erreichen, inoisieren sie die Sauerstoff- und Stickstoff-Atome der oberen Schichten unserer Atmosphäre. Die überschüssige Energie wird als Licht wieder abgegeben, das funktioniert ähnlich wie eine Neonlampe.
Warum tritt dieses Phänomen nur im Norden auf?
Tut es nicht. Es passiert auch im Süden. Nur ist das Gebiet in Südpolnähe nicht besiedelt, deshalb fällt es nicht auf. Es hat mit dem Magnetfeld der Erde zu tun. Das schützt uns einerseits vor der intensiven Strahlung. Ohne Magnetfeld ginge es der Erde wie dem Mars, dessen Atmosphäre vom Sonnenwind größtenteils erodiert wurde, auch wegen der schwächeren Schwerkraft des kleineren Mars. Der flüssige Erdkern und das daraus resultierende Magnetfeld schützt uns hingegen vorm Sonnenwind, indem die geladenen Teilchen zum größten Teil abgelenkt werden. Wo die Magnetfeldlinien allerdings in die Erde eintreten, also nahe zu den Polen, dort erreichen auch einige Teilchen unsere Atmosphäre. Deshalb dieses Lichtspektakel um die Polarkreise.
Wodurch entstehen die verschiedenen Farben?
Die Sauerstoff-Atome über 200 km Höhe emittieren durch Kollisionen mit Sonnenwindteilchen rotes Licht, Stick- und Sauerstoff in niedrigeren Höhen grünes und violettes Licht.
Wo in Österreich lässt sich das beobachten?
Die Sonnenaktivität steigt in einem Zyklus von elf Jahren. und ist an den Sonnenflecken erkennbar. Am Höhepunkt werden starke Massenauswürfe ausgelöst. Die dadurch entstehenden Sonnenwind-Böen interagieren auf komplexe Weise mit dem Erdmagnetfeld und erzeugen besonders starke Polarlichter. In seltenen Fälle sind sie auch in niedrigeren Breiten, zum Beispiel in Österreich, bei klarem Himmel und niedriger Lichtverschmutzung sichtbar. Aber: Wir sind erstens sehr weit weg – und können zweitens aufgrund der Erdkrümmung nur die obersten Lichtemissionen sehen, also ein schwaches rotes Leuchten.
Wer das volle Programm sehen will, muss also nach Norden?
Ja, definitiv. Und ziemlich weit. So zwischen 66. und 74. Breitengrad ist es am besten.