Leben

Christian Seilers Gehen: Weit weg von den Hochhäusern Wiens

Ich mag Hochhäuser. Ich muss dafür nicht in Länder reisen, wo die Wolkenkratzer büschelweise wachsen. Es reicht, die Stadt Wien zu durchqueren und den Häusern zuzuschauen, die diesseits und jenseits der Donau gerade in den Himmel wachsen: Der DC 3 Tower in Kagran, der direkt neben der Wagramer Straße gerade die verblüffende Form einer Käsereibe annimmt. Der Marina Tower am Handelskai, der mit seinen über 500 Wohnungen nicht nur zum Hochhaus, sondern zum vertikalen Stadtteil wird. Die Triiiple Tower in Erdberg, die mit ihrem Hüftschwung aussehen wie Tänzer, die mitten in der Bewegung stehen geblieben sind.

Sie gefallen mir, aus der Entfernung betrachtet, besonders gut, also statte ich ihnen einen Besuch ab. Gehe die Erdbergstraße stadtauswärts, passiere das Straßenbahnmuseum, überquere die Schlachthausgasse und quetsche mich an der bestehenden Wohnhausanlage vorbei zur Triiiple-Baustelle in der Schnirchgasse. Dort stehe ich dann im Lärm, den Kopf weit im Nacken und schaue hinauf in den Himmel, wo die hundert Meter hohen Türme fast anstoßen.

Sicht über den Prater

Ich stelle mir die Aussicht von dort oben vor, weit über den Prater, Wiens Osten, das Zentrum, die Berge im Süden. Beeindruckend, soviel steht fest. Aber gleichzeitig kommen mir die künftigen Bewohner der unteren Stockwerke in den Sinn, die möglicherweise nichts anderes sehen als eine gegenüberliegende Hausfassade oder das shoppingmallhafte Ensemble aus glatten Fassaden, das zum Stadtteil Towntown gehört, der direkten Nachbarschaft. In mir steigt dasselbe Mitleid auf, das ich empfinde, wenn ich bei schönen Hotels am Meer die Zimmer sehe, die nach hinten hinaus gehen. Klar, es gibt einen Preisnachlass, aber … Dieses Aber beschreibt den Nachteil von Hochhäusern am klarsten. Der Architekt Renzo Piano hat seine Hochhäuser beim Hauptbahnhof deshalb auf hohe Stelzen gestellt, kein Erdgeschoß, was für eine schlaue Idee.

Während ich über die Modernisierung von Wien nachdenke, schlendere ich weiter, zuerst durch Towntown, dann an den Gasometern und den gegenüberliegenden Autohäusern vorbei, bis ich plötzlich in Simmering angekommen bin und vor dem Eingang zum Fernheizwerk stehe. Die Weinschenke Sperl, wo nach der Arbeit sicher das eine oder andere Viertel getrunken wurde, ist leer, verstaubt, geschlossen. Es wird langsam dunkel, ein paar Jogger kommen mir entgegen, während ich die 1. Haidequerstraße entlang gehe, in die Haidestraße einbiege und im Halblicht die Schlote der Wärmefabrik betrachte, die schlanke Verwandtschaft der Wolkenkratzer. Kleine Pharmaunternehmen haben sich hier angesiedelt, ein Labor des Bundesheers, der Tennisclub Simmering.

Ich biege in die weitläufige Kleingartensiedlung ein, lasse mich durch enge Gässchen treiben, wo die Häuser ebenerdig sind und Namen wie „Salzamt“ oder „Trautes Heim“ tragen. Vor dem „Schutzhaus Gaswerk“ wird geplaudert und Schwechater Bier aus Dosen getrunken. Das Haideröslein wird seinen Garten erst später im Jahr aufsperren dürfen. Weiter weg als von hier können Wiens Hochhäuser nicht sein.