Chronik/Wien

Wiener City: Wer braucht das Weltkulturerbe?

Ein bisschen ist es mit einem Welterbetitel ja wie mit einer Beziehung. Zuerst putzt man sich heraus, präsentiert sich von seiner besten Seite und hofft, vom Gegenüber erhört zu werden – wie es beim historischen Zentrum Wiens 2001 der Fall war.

Ist der Titel einmal ergattert, setzt der Beziehungsalltag ein. Und mit dem Abnehmen der rosaroten Brille kommt die Erkenntnis, dass der neue Partner, einen nicht nur schmückt, sondern auch Forderungen stellt.

Nun steht die Trennung von Wien und der UNESCO seit einigen Jahren im Raum. Grund ist das Hochhausprojekt am Heumarkt. Mit dem geplanten 66-Meter-Turm und seiner Masse passe es nicht an diesen Ort, sagt die UNESCO. Immerhin ist das Areal in der Kernzone der Welterbestätte.

Seit knapp zwei Jahren befindet sich Wiens Zentrum damit auf der Roten Liste. In einem jüngsten Expertenbericht ließ die UNESCO wissen: Die Realisierung des Turmprojekts, das vom Gemeinderat bereits grünes Licht bekam, ist mit dem Welterbetitel nicht vereinbar.

Es folgte der erwartbare Polit-Hickhack.

Und die Frage: Was bringt ein Welterbetitel eigentlich?

Spezielle Reisegruppen

Die Antwort der Touristiker ist einhellig: Nichts. Ja, einige ganz wenige Reisegruppen aus dem asiatischen Raum gebe es, die dezidiert Welterbestätten besuchten. Generell sei der Titel aber nur ein Merkmal von vielen. Besucher würden an Wien die Kultur, die Architektur und das imperiale Erbe schätzen. Ob es dazu das offizielle Prädikat „Welterbe“ gibt, sei zweitrangig, sagt etwa Wiens Tourismus-Chef Norbert Kettner.

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Dass der SPÖ-nahe Wien-Tourismus das so sieht, verwundert nicht. Allerdings kommt die tendenziell ÖVP-freundliche Hoteliervereinigung zum gleichen Schluss.

Aber tatsächlich geht es im Fall von Wien nicht um die Frage „Welterbe – ja oder nein?“ Sondern: „Status halten oder verlieren?“

Und der Verlust einer Auszeichnung, betonen Marketing-Experten, wäre dann doch negative Publicity.

Ein Blick nach Dresden zeigt zwar, dass sich auch das nicht in monetären Verlusten niederschlagen muss. Dresden hat das Welterbe 2009 wegen des Baus der vierspurigen Waldschlößchenbrücke verloren. Besucher-Einbrüche gab es keine. Von 2009 bis 2014 stiegen die Gästeankünfte um knapp 40 Prozent.

Schutzinstrument

Allerdings hat die UNESCO nie behauptet, mit der Verleihung Tourismus oder Wirtschaft ankurbeln zu wollen. Der Welterbetitel ist vielmehr ein Schutzinstrument.

Und genau dieser Schutz ist vielleicht auch wichtig. „Er bremst die Möglichkeiten zu machen, was man will“, sagt etwa Architekt Christian Kühn, TU Wien. „Wenn die Baukultur unterentwickelt ist, kann das hilfreich sein.“

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Kritiker des Welterbes erwidern gerne, dass die UNESCO Fortschritt verhindert und Stätten unter eine Glasglocke stellt. Die UNESCO sieht das anders: Sie habe gegen moderne Architektur nichts einzuwenden, diese müsse nur ins Konzept passen.

Bleibt die Frage, warum man sich eigentlich dem Urteil der UNESCO-Experten beugen sollte. Die Antwort ist einfach: Die UNESCO hat sich Wien nicht aufgedrängt. Wien wollte diesen Titel haben, hat ihn erhalten – und das ist nun einmal mit Konsequenzen verbunden. Vergleiche lassen sich dafür viele finden. Ob Bio-Zertifikat oder Fair-Trade-Stempel – Auszeichnungen sind mit Auflagen verbunden.

Dass das Prädikat Welterbe hierzulande jedenfalls weiterhin begehrt ist, zeigt sich daran, dass sich regelmäßig Stätten um eine Aufnahme in die Liste bemühen. Aktuell versucht das etwa Baden im Verbund mit zehn anderen Kurorten in Europa.

Eine Umfrage auf kurier.at zeigt zudem, dass das Thema die Österreicher berührt. Fast 2.000 KURIER-Leser nahmen am Freitag an der Abstimmung teil. Knapp zwei Drittel gaben dabei an, dass ihnen der Welterbe-Titel für Wien wichtig ist.