Chronik/Wien

Stadttouren: Auf den Spuren der Lust

„Die Kirche ist ein idealer Treffpunkt, um sich auf die Spuren der Lust im alten Wien zu begeben“, sagt Barbara Wolflingseder. Die schwarzhaarige Frau steht in einer roten Strickjacke am Michaelerplatz, knapp zwanzig Personen haben sich um sie versammelt.

„Die Dirnen galten im 19. Jahrhundert als arme Sünderinnen, die Buße leisten mussten“, fährt die Fremdenführerin fort. Auf dem Weg zur Beichte hätte aber oft der nächste Fehltritt gewartet: Kirchen galten damals als Ort der erotischen Geschäftsanbahnung.

Ihre Zuhörer kichern und grinsen – nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag.

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Ein Spaziergang mit Pepi Mutzenbacher

Dass auch die Geistlichen selbst sexuellen Diensten nicht abgeneigt gewesen sein dürften, kann aus den Memoiren der Namensgeberin von Wolflingseders Tour geschlossen werden: „Josefine Mutzenbacher – Auf den Wegen der Lust im Alten Wien“ heißt sie.

Die umtriebige Romanfigur schildert darin etwa, wie sie einem Pfarrer ihre Sünden an dessen Leib demonstriert, um Absolution zu erhalten.

Wolflingseder zeigt der Gruppe eine Zeichnung der Dirne. „Ich nehme an, sie sind einschlägig vorgebildet?“ fragt sie. Allen voran die Herren nicken, dann geht die Gruppe in Richtung Graben.

Heimatstadt im Trend

Die sittengeschichtliche Tour durch die City ist eine von über 100 Themenführungen, die der Verein Wiener Spaziergänge seit mittlerweile 30 Jahren anbietet. Beliebt sind die Rundgänge nicht nur bei Touristen.

  „Wir haben ein großes Stammpublikum, die Wiener machen das echt gerne“, sagt Obfrau Sarah Kamenicky. „Es ist ein Trend, sich die eigene Stadt anzuschauen.“

Regelmäßige Spaziergänger können auf einer Kundenkarte Punkte sammeln, erklärt sie. „Jede 6. Tour ist gratis.“ Besonders interessiert seien die Stadtbewohner an den etwas außergewöhnlicheren Themen. „Durchhäuser, Mutzenbacher, Unterirdisches Wien – bei solchen Geschichten sind die Wiener gerne dabei.“

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Auf ein Bier im Strizzi-Café

Martin W. ist einer dieser einheimischen Spazier-Fans. „Man erfährt Geschichten, die man nicht so kennt“, sagt der Wiener. „Ich habe schon mehrere Touren gemacht, erst am Sonntag wieder zu Kaffeehaus, Fiaker und Würstel – unserer Kultur halt.“

Er und die anderen Teilnehmer der Mutzenbacher-Tour sind inzwischen in der Ecke Neubadgasse/Wallnerstraße angekommen. Im Schanigarten des Restaurants gegenüber trinken Japaner Bier.

Was sie nicht wissen: Sie sitzen in einem berühmt-berüchtigten, ehemaligen Zuhälter-Café.

„Strizzi sagt man in Wien ja eigentlich“, erklärt Wolflingseder. Auch jene Damen, auf die die Herren aufpassten, hatten einen eigenen Namen: Graben-Nymphen. „Da vorne etwa sind sie bis in die 1960er gestanden“, erklärt die Fremdenführerin und deutet Richtung Kohlmarkt.

Neue Perspektiven

„Man lernt die Stadt ganz anders kennen“, sagt Franz Jansens, als sich die Gruppe wieder in Bewegung setzt. Der Münchner besucht Wien regelmäßig, ein Spaziergang mit dem Verein gehört zu seinem Fix-Programm.

Er und seine Frau Simone interessieren sich aber auch für neue Blickwinkel auf ihre Heimatstadt. „Zuhause versuchen wir auch, bei Stadtspaziergängen mitzugehen.“

Sex verkauft sich

Nach weiteren Zwischenstopps – etwa vor dem Esterhazykeller (wo früher Liebesdienste angebahnt wurden) und in der Naglergasse (die nicht umsonst so heißt) – endet die Tour nach etwa eineinhalb Stunden am Hohen Markt.

Drei Deutsche sind thematisch offenbar auf den Geschmack gekommen: Sie erkundigen sich bei Wolflingseder, wo sie das Kondommuseum finden (6., Esterhazygasse 26). Martin W. holt sich einen Stempel.

„Wenn die Leute einmal draufgekommen sind, dass es uns gibt, wollen sie mehr“, erzählt Wolflingseder. Mutzenbacher gehöre  zu den beliebtesten Touren: „Sex sells.“

Info: www.wienguide.at, 16 Euro / Tour, Programm unter  0660 661 95 17 oder office@wienguide.at

Der Verein

1988 gegründet, bietet der Verein Wiener Spaziergänge heute im Schnitt fünf Touren täglich an. Auf die Spuren von Josefine Mutzenbacher begibt er sich wieder am 27. und 30. Oktober (14 Uhr, Treffpunkt ist am Michaelerplatz).

1000 geprüfte Fremdenführer sind übrigens derzeit in Wien tätig.