Chronik/Wien

Lebenslang für Mord an Schwester

Das Lebenslang für den Afghanen Hikmatullah Stanekzai, der seine jüngere Schwester mit 28 Messerstichen ermordet hat, lag schon in der Luft. Theoretisch ermöglicht hat es der Anthropologe Fabian Kanz, der den Angeklagten in einem Gutachten für (zur Tatzeit) älter als 21 Jahre befunden hat. Hätte man dem Burschen geglaubt, er sei erst 19 Jahre alt und damit ein vom Gesetz privilegierter „junger Erwachsener“, wäre die Strafe mit maximal 15 Jahren begrenzt gewesen.

10.000 Skelette

Er selbst erklärte, seine Eltern hätten ihm als Geburtsjahr immer 1999 genannt. Der Sachverständige aber, der eigenen Angaben nach bei 10.000 Skeletten Altersschätzungen durchgeführt hatte, errechnete ein weitaus früheres Geburtsjahr. Die Verknöcherungen der Wachstumsfugen seien bereits längst abgeschlossen, der Angeklagte sei mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit schon 22, 23 oder 24 Jahre alt. Dass seine Weisheitszähne noch nicht durchgebrochen sind, sei nicht so aussagekräftig. Damit war dieses Thema am Mittwoch im Wiener Landesgericht vom Tisch.

Der Angeklagte habe sich mit der „in einem verschrobenen Ehrgefühl wurzelnden Tat außerhalb der Gesellschaft gestellt“, begründete Richter Stefan Apostol, ein ehemaliger Staatsanwalt, das nicht rechtskräftige Urteil. Dafür könne es nur die Höchststrafe – lebenslange Haft – geben.

Des dringenden Hinweises von Richter und Gerichtsmediziner an die Geschworenen, die Bilder der erstochenen 14- oder 16-jährigen (auch über deren Alter herrschte Ungewissheit) Bakhti Stanekzai „auf sich wirken zu lassen“, hätte es nicht bedurft.

Der Angeklagte wollte die „ Familienehre“ wiederherstellen, weil sich die Schwester gegen die „Kultur“ seiner Heimat gestellt habe, wie er sagt. Aber wollte wirklich er das?

Sein Vater, der insgesamt drei Töchter und fünf Söhne hat, führt ein archaisches und angeblich auch gewalttätiges Regiment und wollte Bakhti in Afghanistan zwangsverheiraten. Sie lehnte sich dagegen auf, brach immer wieder aus, flüchtete bis nach Graz in ein Kriseninterventionszentrum, wollte kein Kopftuch tragen und pflegte Kontakt zu einem Burschen. Die Familie holte sie stets wieder heim, sie zog ihre Anzeigen zurück, damit erlahmte der behördliche Schutz für sie.

Mit großer Wucht

Am 18. September 2017 passte sie der Bruder auf dem Schulweg in Wien-Favoriten ab. Zuvor hatte er sich ein Kampfmesser besorgt. Hikmatullah dirigierte Bakhti in einen Hinterhof und tötete sie mit 28 Stichen, die laut Gerichtsmediziner Christian Reiter „mit großer Wucht“ geführt wurden. Die Stiche gingen in Hals, Leber, Nieren, Magen, Arm, Bein und trafen das Mädchen vermutlich auch noch, als es bereits am Boden lag.

Während der Bluttat telefonierte der Bruder die ganze Zeit über ein Headset. Mit dem Vater? Das ließ sich nicht ermitteln. Der war jedenfalls in der Nähe, wie Aufnahmen der Kameras der Wiener Linien zeigen.

Familiengeheimnis

Die Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter berichtete aus ihrer Untersuchung des Angeklagten (dem sie eine „grenzwertige intellektuelle Begabung“ attestierte), es gebe „ein Familiengeheimnis, über das er nicht sprechen will“.

Und für Verteidiger Nikolaus Rast war der laut Gutachten „leicht zu manipulierende“ Angeklagte „nur ein Werkzeug“. Doch Hikmatullah Stanekzai wollte sich im Prozess, den seine Mutter und einer seiner kleinen Brüder verfolgte, weder dazu noch überhaupt äußern. Er gestehe alles, wolle um Verzeihung bitten und aus.