Hauptbahnhof: "Das ist mehr als ein Bahnhof"
Von Elias Natmessnig
Fünf Jahre lang wurde am neuen Wiener Hauptbahnhof gebaut. Am heutigen Freitag wird die große Eröffnung des Bahnhofs und des Einkaufszentrums gefeiert – mit Musik, Modeschauen und Festreden (siehe Grafik unten). Großen Anteil am Gelingen des Projekts hat Judith Engel. Seit 2005 ist die 37-jährige Wienerin Projektleiterin des Wiener Hauptbahnhofs.
KURIER: Frau Engel, wann haben Sie zuletzt nicht an den Hauptbahnhof gedacht?
Judith Engel: Zugegeben, in den letzten Wochen war das schwierig, aber es geht. Es gibt noch ein Leben neben dem Hauptbahnhof.
Wo lagen die größten Herausforderungen?
In der Endphase war das sicher die Koordination der vielen Beteiligten. Denn jedes Problem betrifft immer 50 bis 100 Leute. Die alle an einen Tisch zu bekommen, ist nicht immer einfach.
Stößt man da an seine Grenzen?
Es gibt schon Momente, wo ich mir denke: "Wieso werde gerade ich jetzt angerufen?" Vor allem wenn es Lieferanten sind, die sich nicht auskennen.
Was war technisch die größte Aufgabenstellung am Bau des Hauptbahnhofs?
Die Tatsache, dass wir die Gleise im ersten Stock haben und drei Geschoße darunter. Denn die Züge sind unheimlich schwer. Dafür die Tragwerke zu bauen, war eine echte Herausforderung.
Große Städte wie Paris und Budapest haben keinen Durchgangsbahnhof. Warum Wien?
Wien hat heute in der EU eine wichtige Drehscheibenfunktion. Doch derzeit kann man nicht von St. Pölten zum Flughafen fahren oder muss von München nach Budapest in die Straßenbahn umsteigen. Für eine EU-Hauptachse indiskutabel.
Wie wird der Hauptbahnhof die Stadt verändern?
Er hat ihn ja schon ein großes Stück weit verändert. Zwischen den Bezirken kamen viele neue Verbindungen dazu. Das Einkaufszentrum wird sicher auch viele Menschen anziehen. Das ist mehr als ein Bahnhof.
Wird der Hauptbahnhof ein neues Stadtzentrum?
Also jedenfalls ein Stadtteil. Ob es ein neues Zentrum wird, liegt wohl im Auge des Betrachters.
Viele wundern sich, dass der neue Hauptbahnhof nur zehn Bahnsteige hat, weniger etwa als der Westbahnhof. Ist man damit für die Zukunft gerüstet?
Ein Kopfbahnhof wie der Westbahnhof kann nur mit halber Kapazität arbeiten, weil alle Arbeiten, wie die Reinigung oder das Befüllen des Caterings, direkt am Bahnsteig gemacht werden müssen. Bei einem Durchgangsbahnhof steht der Zug dagegen nur zum Ein- und Aussteigen am Bahnsteig. Für die Züge am Hauptbahnhof passieren die Arbeiten in der Servicezentrale am Matzleinsdorfer Platz. Zusätzlich haben wir 400 Meter lange Bahnsteige, wo zwei Züge hintereinander stehen können.
Wird es ab Dezember auch Züge zum Flughafen geben?
Ja. Man wird etwa von St. Pölten oder Salzburg zum Flughafen fahren können.
Wollen Sie damit Inlandsflügen Konkurrenz machen?
Wir denken, wir haben ein gutes Angebot.
Wird man am Hauptbahnhof auch einchecken können?
Nein, das ist derzeit nicht vorgesehen.
Sie haben einmal gesagt, dass man als Frau Vorteile hat, wenn man in einer Männerdomäne arbeitet. Warum?Als einzige Frau im Raum erregt man erst einmal Aufmerksamkeit. Sich Gehör zu verschaffen, ist als Minderheit oft leichter. Wenn man aber länger zusammen arbeitet, wird das unwichtig. Man ist rasch am Boden der Realität, wenn man mit Helm, Weste und Gummistiefeln auf der Baustelle steht.
Also wird man auf der Baustelle nicht mehr kritisch beäugt?
Es passiert hin und wieder, dass Bauarbeiter erst einmal aufs Kärtchen schauen, wer da vor ihnen steht. Aber das ist echt selten. Im Kostümröckchen würde ich aber nicht auf die Baustelle gehen, weil ich nicht wüsste, wie die Nachrede wäre.
Hauptbahnhof - von der Großbaustelle zur zentralen Verkehrsstation:
Kaum hat Karl-Johann Hartig die Eingangshalle des neuen Hauptbahnhofs betreten, schrillen die Sirenen. "Bitte verlassen Sie das Gebäude", hallt es aus den Lautsprechern. Hartig lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen: "Das ist nur der Brandschutz-Test, der läuft schon den ganzen Tag."
Am Freitag wird der Hauptbahnhof offiziell eröffnet. Nach fünf Jahren Bauzeit steht Gesamtprojektleiter Hartig, ein ruhiger Mann mit roter Rundbrille und weißem Bart, kurz vor dem Ziel: "Klar ist es im Moment stressig", sagt er. "Aber es geht sich aus." Er wird den Satz noch öfter sagen.
Zahlen und Fakten:
In vielen Geschäften des Einkaufszentrums werken noch Arbeiter, in anderen räumen die Verkäufer bereits ihre Waren ein. Der grüne Granitboden ist staubig, überall liegt Verpackungsmaterial herum. In der Eingangshalle wird die Bühne für das Eröffnungsfest aufgebaut, das ÖBB-Reisezentrum ist noch nicht ganz fertig.
Wenig Platz
Sofort fällt auf, wie wenig freien Platz es gibt. Von der Luftigkeit des alten Südbahnhofs ist wenig zu spüren. Alles ist zweckmäßig an seinem Platz. Der Markus-Löwe – einziges Andenken an den alten Südbahnhof – steht von groben Holzplanken umgeben neben dem Haupteingang.
Weiter hinten in der Haupthalle liegt der Food-Court. Ob Burger-Laden, Pizza-Eck oder Fisch-Imbiss – der Fokus liegt auf schnellen Snacks. Aber auch im Untergeschoß gibt es Esslokale. Fast jeder vierte der 93 Shops im Einkaufszentrum verkauft Mahlzeiten.
Untergrund
In der Mitte der Eingangshalle wachsen breite Stiegen und Rolltreppen aus dem Untergrund. "Hier wird der Hauptstrom der Fahrgäste von der U-Bahn und der S-Bahn heraufkommen", erklärt Hartig.
Den Fahrgästen wird vor allem die 40 Quadratmeter große Videowall ins Auge stechen. "Hier werden die Abfahrtszeiten für 12 Bahnsteige angezeigt", sagt Hartig. Allerdings erst ab Dezember. Denn der Hauptbahnhof wird zwar jetzt samt Einkaufszentrum eröffnet, in Vollbetrieb geht er erst mit der Fahrplanumstellung am 14. Dezember. Knapp 1000 Züge werden dann täglich halten, 90.000 Menschen umsteigen.
Doch nicht alles läuft reibungslos: "5000 Euro Belohnung", steht auf einem Plakat. Mehrere Kabel wurden mutwillig durchtrennt. "Sabotage gibt es leider immer wieder", sagt Hartig. "Seit wir die Belohnung ausgelobt haben, ist aber Ruhe."
Auch sonst blieb man von großen Problemen verschont. Kein schwerer Arbeitsunfall, keine Bauverzögerungen. Die kalkulierte Bausumme von einer Milliarde Euro dürfte also halten. "Es geht sich aus", sagt Hartig.