Ende einer Legende: „Gräfin vom Naschmarkt“ sperrt zu
Von Nina Oezelt
Auch vor der Pandemie konnte man in Wien die Lokale, die die ganze Nacht über und bis in die frühen Morgenstunden warmes Essen anboten, an einer Hand abzählen. Wohin also, wenn sonst überall Sperrstund’ ist? Zwei Kult-Lokale fand man an der Linken Wienzeile – und zwar fast nebeneinander: das „Cafe Drechsler“ und die „Gräfin“. Das ist nicht mehr lange so.
Die „Gräfin vom Naschmarkt“ an der Linken Wienzeile 14 in Mariahilf muss nun wohl für immer schließen. Das berichtet die Kronen Zeitung. Die Gewerbeberechtigung wurde demnach vom Eigentümer bereits im Oktober zurückgelegt.
An der Lokaltür steht noch geschrieben: „Wegen Umbau geschlossen“.
Die „Gräfin“ ist in Wien bekannt. Ein Lokal für Nachtschwärmer, das 22 Stunden am Tag offen hatte. Und das gefühlt schon ewig. Geschlossen war täglich zwischen 2 und 4 Uhr in der Früh. Dieses Faktum allein machte das Lokal einzigartig.
Internationale Berichte
Vor einigen Jahren schaffte es das Lokal sogar in die internationalen Medien. Aber nicht wegen seiner spektakulären historischen Geschichte oder wegen der guten Wiener Küche, sondern wegen der zahlreichen schlechten Online-Bewertungen auf dem Portal Tripadvisor. Die „Gräfin“ war das am schlechtesten bewertete Restaurant Wiens.
„Überteuert und grindig“, war der Tenor. Einen Toast gab es für acht Euro. Das Geschirr sei schmutzig gewesen, das Personal unhöflich. Auch das „schlechteste Schnitzel der Welt“ sei dort serviert worden, hieß es damals, im Jahr 2015. „Schmäh mit Bäh“ titelte die deutsche Zeit.
Die Inhaber des Lokals sollen auch online immer wieder uncharmant geantwortet und schlechte Kritiken in Zeitungen dem Presserat gemeldet haben.
Ein Lokal für alle
„Es war früher ein Lokal der Übriggebliebenen“, sagt ein ehemaliger Gast. Hinz und Kunz habe man damals dort getroffen, mitten in der Nacht oder auch schon in der Früh: von Alkoholisierten bis zum Schauspieler. Das Theater an der Wien ist nicht weit weg.
Die Standler vom Naschmarkt-Flohmarkt, die schon samstags um 5 Uhr aufbauten, schauten vorbei. Die jungen Wiener ebenso. Und Touristen tappten untertags in die Essensfalle.
Und dennoch: „Ein Mal muss man in der Gräfin gewesen sein, auch wenn es noch so schlecht ist“, war ein Satz, den man in Wien immer wieder hörte. Einprägsam war auch die Einrichtung im Lokal: In der Mitte stand ein Baum.
Die „Gräfin vom Naschmarkt“ ist übrigens auch der Name eines Musicals, das im Theater an der Wien (wenige Häuser weiter) im Jahr 1978 uraufgeführt wurde – und es auf immerhin 170 Vorstellungen brachte.
Ob das Lokal noch gerettet werden kann – und falls ja, in welcher Form – ist unklar. Laut ORF möchte es ein Verwandter der Betreiber vielleicht weiterführen.