Friedensnobelpreisträgerin verteidigt Vorgehen gegen Rohingya
Von Stefan Schocher
Am zweiten Tag der auf drei Tage anberaumten Anhörung ging Aung San Suu Kyi in die Offensive. Und sie tat nicht weniger, als gleich das gesamte Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag anzuzweifeln. Dabei ist schon ungewöhnlich, dass die De-facto-Regierungschefin Myanmars, Suu Kyi, überhaupt persönlich in Den Haag auftrat. Denn per Gesetz wäre sie dazu nicht verpflichtet.
Verhandelt wird in Den Haag eine Klage Gambias. Der Inhalt: Myanmar habe sich im Bundesstaat Rakhine des Genozids an der Minderheit der Rohingya schuldig gemacht. Die Klage beruht auf einer UN-Untersuchung, in der von „anhaltendem Völkermord“ mit „genozidialer Absicht“ die Rede ist. Seit 2016 hätten Soldaten Tausende Menschen ermordet, Frauen und Kinder vergewaltigt, Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Geschätzte 730.000 Menschen leben derzeit noch in Flüchtlingslagern im Nachbarland Bangladesch.
Aung San Suu Kyi war Dissidentin gegen das Militärregime, stand jahrelang unter Hausarrest. Für ihren gewaltlosen Widerstand erhielt sie 1991 den Friedensnobelpreis. Heute ist sie praktisch Regierungschefin des Landes. Geduldet von den Militärs.
Gambia, so Suu Kyi, habe ein „unvollständiges und irreführendes“ Bild von der Lage. Auch Massenvertreibungen während der Balkankriege der 1990er-Jahre seien nicht als Völkermord behandelt worden.
„Systematische Gewalt“
Was die konkreten Vorgänge angeht, so sprach Suu Kyi davon, dass das Militär nur auf Angriffe der Rohingya reagiert hätte. Ausgeschlossen werden könne aber nicht, dass dabei unangemessene Gewalt eingesetzt worden sei. Suu Kyi: „Wir haben es mit einem internen bewaffneten Konflikt zu tun, der von der Rohingya-Armee begonnen wurde.“ Eine Absicht des Völkermordes gebe es nicht. Kriegsverbrechen würden strafrechtlich verfolgt, fielen aber nicht unter die Völkermord-Konvention von 1948.
Von der UNO werden die muslimischen Rohingya als eine der meistunterdrückten Minderheiten weltweit angesehen. Per Gesetz sind ihnen Landbesitz, der Zugang zu höherer Bildung, die Ausreise, Wahlrecht und Staatsbürgerschaft verwehrt. Dagegen gibt es auch bewaffneten Widerstand der Rebellengruppe ARSA, der ebenso Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Militärisch hat die Gruppe der Armee aber nichts entgegenzusetzen. Seit 2017 sind eine Million Rohingya auf der Flucht. Der Internationale Strafgerichtshof hatte erst Mitte November Ermittlungen zu den Vorwürfen zugestimmt. Es gebe eine „glaubwürdige Basis“, für die Annahme, dass „weit verbreitete und/oder systematische Gewaltakte“ begangen worden seien.
Zunächst geht es in dem Verfahren um eine einstweilige Verfügung gegen Myanmar, die 600.000 im Land verbliebenen Rohingya zu schützen. Ein Urteil wird in wenigen Wochen erwartet. Das Hauptverfahren gegen Myanmar wird wohl mehrere Jahre dauern. Urteile des Internationalen Gerichtshofes sind bindend.Stefan Schocher