Umstrittenes Kraftwerk: Tiwag verzichtet auf Wasser aus dem Ötztal
Von Christian Willim
Zwei Milliarden Euro will der Tiroler Landesenergieversorger Tiwag in die Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal stecken, die nicht nur von Naturschutzorganisationen abgelehnt wird. Zur Errichtung eines neuen Speichersees für das geplante Pumpspeicherkraftwerk soll das Platzertal und damit wertvolle Moorfläche geflutet werden. Zusätzlich soll Wasser aus Gebirgsbächen des Ötztals abgeleitet werden.
Dort sind die Widerstände gegen dieses Vorhaben so alt wie die Pläne selbst. Sie ziehen sich wie das Wasser der Venter und der Gurgler Ache, die von den Ableitungen betroffen wären, und der von ihnen gespeiste Ötztaler Ache von ganz hinten im Tal bis zum Ausgang. Die Phalanx der Gegner ist groß, umfasst Bauern, Touristiker und ÖVP-geführte Gemeinden.
Beachtlicher Schwenk
Nun vollzieht die Tiwag einen beachtlichen Schwenk. Wie zunächst die Tiroler Tageszeitung berichtet hat und der Stromerzeuger am Dienstag bestätigt, wird auf die Wasserableitungen verzichtet - zumindest vorerst.
Offiziell spricht das Energieunternehmen in einer Aussendung davon, "das Projekt in zwei Projektteile zu trennen und den Schwerpunkt auf neue Speicherkapazitäten und die Bereitstellung von flexibler Energie zu legen".
Konkret heißt das: Die Wasserentnahmen aus dem Ötztal werden aus dem laufenden UVP-Verfahren herausgenommen. Am Speicher Platzertal und dem Pumpspeicherkraftwerk an sich wird aber festgehalten, um "wertvolle Speicherkapazitäten für die steigende Stromerzeugung aus Wind und Sonne" zu schaffen.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Tiwag in der Vergangenheit stets betont hat, dass die Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal nur mit dem Wasser aus dem Ötztal Sinn macht. Sie hat deshalb über Jahre mit der Ötztaler Gemeinde Sölden einen erbitterten Rechtsstreit um diese Ressource geführt und letztlich gewonnen.
Volksbefragung in Sölden
Das war wohl ein Pyrrhussieg. Denn am Widerstand im Tal hat das nichts geändert. "Ich könnte nicht sagen, ich wäre enttäuscht", kommentiert Söldens ÖVP-Bürgermeister Ernst Schöpf die Kehrtwende der Tiwag. Dass diese die Pläne noch einmal aufgreift, glaubt der Ortschef nicht und hält es mit einem Bürger, der zu ihm gesagt habe: "Das ist jetzt der geordnete Rückzug."
Er selbst schlägt vor: "Lass uns zu neuen Ufern aufbrechen." Eine energetische Nutzung des Ötztaler Wassers im Tal selbst hält Schöpf für umsetzbar, die Gemeinde hat ein entsprechendes Projekt bereits verfolgt. Außerdem müsse man den Photovoltaikausbau schärfer angehen. Und überhaupt können man "mit den Ötztalern über gar alles reden", wenn es um erneuerbare Energien geht - auch über Windräder.
Am kommenden Sonntag wird in Sölden parallel zur EU-Wahl eine Volksbefragung darüber durchgeführt, ob Wasser aus dem Gemeindegebiet ins Kaunertal übergeleitet werden soll.
Fädenzieher Mattle
Dass die Tiwag diese Pläne ausgerechnet wenige Tage vor dieser Abstimmung auf Eis legt, dürfte kein Zufall sein. Laut Tiroler Tageszeitung hat ÖVP-Landeshauptmann und Eigentümervertreter Anton Mattle die Kehrtwende beim Landesunternehmen eingeleitet.
Aus seinem Büro wird auf Anfrage bestätigt, dass es im April ein Gespräch zwischen den Tiwag-Verantwortlichen und Mattle zu der Thematik gegeben hat. Der Landeshauptmann soll dabei darauf gedrängt haben, alternative Möglichkeiten zu den Wasserentnahmen im Ötztal zu prüfen. Für Mattle steht jedenfalls fest, "dass es die Tiwag nicht geschafft hat, die Ötztaler mitzunehmen."
Hinter der nunmehrigen Vorgangsweise stehe der Landeshauptmann, heißt es. Die Tiwag will nun jenen Projektteil auf Eis legen, der die Wasserableitungen aus dem Ötztal, aber auch den Bau eines Ausleitungskraftwerks an der Innstufe Imst-Haiming umfasst. Letzteres hat erst im vergangenen Dezember vom Bundesverwaltungsgericht eine Nachdenkpause verordnet bekommen.
Warten auf "finale Entscheidung"
Die weiteren Planungsschritte für diesen zweiten Projektteil will die Tiwag erst vornehmen, "wenn die finale Entscheidung zu Imst-Haiming vorliegt und somit die gewässerökologischen Vorgaben klar sind", erklärt TIWAG-Vorstandsdirektor Alexander Speckle.
Dass die Tiwag einen erneuten Anlauf zum Griff auf die Ötztaler Bäche nimmt, erscheint aber unwahrscheinlich. Es ist nicht anzunehmen, dass der Widerstand gegen dieses Vorhaben in der Region verschwindet.
Der WWF begrüßte das Aus für die Wasserableitungen in einer ersten Reaktion, forderte aber auch umgehend ein endgültiges Aus für das gesamte Projekt: "Im nächsten Schritt muss der Landeshauptmann Nägel mit Köpfen machen und den gesamten Kaunertal-Ausbau absagen, der jetzt endgültig keinen Sinn mehr macht."
Für die ÖVP waren die Kaunertal-Pläne der Tiwag in der Vergangenheit stets in Stein gemeißelt. Die Tiroler Grünen, bis Ende 2022 Koalitionspartner der Schwarzen und hierbei selten auf Konfrontationskurs mit der ÖVP, sehen sich nun bestätigt. Man sei immer gegen die Überleitung der Ötztaler Bäche gewesen, so Klubobmann Gebi Mair.
"Jahrelang hat man uns erklärt, dass das völlig undenkbar sei. TIWAG, ÖVP und zuletzt auch SPÖ haben stets darauf bestanden, dass die Bäche unbedingt gebraucht würden. Die TIWAG hat sich auch geweigert, Berechnungen vorzulegen, wie ein reiner Speicherbetrieb ohne neue Beileitungen aussehen kann“, so Mair.
Unter den neuen Voraussetzungen sei für den geplanten Pumpspeicher in Kombination mit dem bestehenden Gepatschspeicher nur ein kleinerer Speichersee notwendig. Die geplante Anlage sei nunmehr überdimensioniert. Damit könne nun "auch ein neuer Standort abseits des Platzertals gesucht werden".
FPÖ-Landesparteiobmann Markus Abwerzger begrüßte das „Einlenken der Tiwag-Verantwortlichen“. Die Wasserkraft als „Tirols Energiemotor“ sei zwar ein „wichtiges und hohes Gut“, allerdings dürfen „gewisse Projekte nicht gegen den Willen der Bevölkerung geplant werden.“ Abwerzger bekundete daher „Solidarität mit der Bevölkerung im Ötztal.“
Für die Liste Fritz ändert sich mit dem Aus für die Wasserableitungen aus dem Ötztal aber nichts an der grundsätzlichen Ablehnung dieses Mega-Kraftwerkes Kaunertal. Es bleibt vollkommen überdimensioniert und ein umweltpolitischer Gau. "Das ist eine umweltpolitische Sünde, die noch dazu mehr als 2 Milliarden Euro kosten soll“, sagt Klubobmann Markus Sint.