Naturschutz: "Wir sind das Schlusslicht in Europa"
Von Bernhard Ichner
Punkto Naturschutz hat Österreich seine Hausaufgaben noch nicht gemacht. Insbesondere bei Natura-2000-Gebieten (siehe Info unten) sieht die EU-Kommission enormen Aufholbedarf. Bundesweit gibt es bis dato 218 davon, doch Brüssel verlangt eine Verdoppelung: 220 zusätzliche Schutzgebiete werden eingefordert. Bis Ende September haben die Bundesländer nun Zeit, die erste Tranche nachzumelden. Andernfalls droht eine Klage vor dem EuGH. Strafzahlungen sind möglich.
Den Handlungsbedarf punkto Natura 2000 zeigte nicht zuletzt der Umweltdachverband auf, der gemeinsam mit mehr als 100 Naturschutz-Experten eine Schattenliste von 55 eiligst nachzunominierenden Schutzgebieten formulierte. Der KURIER bat den Präsidenten des Umweltdachverbandes, Gerhard Heilingbrunner, zum Interview.
KURIER: Ist Österreich punkto Natura 2000 säumiger als andere EU-Staaten?
Heilingbrunner: Punkto Naturschutz sind wir das Schlusslicht in Europa. Das ist typisch: Wenn’s um Förderungen geht, picken wir uns aus der EU heraus, was geht. Aber bei den Verpflichtungen stellen wir uns gern taub.
Wer ist schuld daran?
Die Bundesländer – die sind selber in die Falle getreten. Bereits 2008 hat die EU-Kommission Österreich in derselben Causa geklagt. Aber seit das Verfahren vor dem EuGH quasi aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde hat sich bei uns niemand mehr bewegt. Darum sind wir jetzt in dieser Lage.
Ja. Am Piz Val Gronda in Tirol (wo trotz Bedenken der Naturschützer ein Skigebiet erschlossen wurde) ist ein unreparierbarer Schaden entstanden. Da müsste man zumindest Ausgleichsmaßnahmen, wie etwa zusätzliche Schutzgebiete, anstreben. Beim Piz Val Gronda könnte es zu einer Verurteilung und zu Strafzahlungen kommen.
Was müssen die Bundesländer jetzt konkret tun?
Sie müssen bis Juni formulieren, wie die Schutzgüter in den nachgeforderten Gebieten vor Schaden bewahrt werden sollen. Das heißt, es darf keine Verordnung, keinen Bescheid, keine Baugenehmigung oder Widmung geben, die eine Beeinträchtigung der nachgeforderten Gebiete mit sich brächte.
Natura 2000 ist aber keine Käseglocke, unter der alles dem Naturschutz unterzuordnen ist.
Nein. Es geht nicht um allgemeine Nutzungsbeschränkungen. Der Schutz bezieht sich auf eine ganz konkrete Tier- oder Pflanzenart bzw. auf einen Lebensraum. Das bedeutet eben nicht, dass in so einem Gebiet nicht gebaut oder nicht bewirtschaftet werden darf. Im Gegenteil: Der Schutz spezieller Arten bedingt sogar eine spezielle Bewirtschaftung. Es darf bloß das Schutzgut nicht beeinträchtigt werden. Ein Beispiel: An der Isel darf man Kajak fahren, fischen und vieles mehr. Aber man darf nichts tun, das die Gewässerdynamik negativ beeinflusst – sprich: kein Kraftwerk bauen.
Der EuGH hat aktuell entschieden, dass ein Grundeigentümer die Aufhebung des Natura-2000-Schutzes begehren kann, wenn das angestrebte Schutzziel verfehlt wurde. Höhlt das das Instrumentarium nicht aus?
Nein. Ein Betroffener oder ein Bundesland könnte die Aufhebung eines Natura-2000-Schutzgebiets nicht erfolgreich geltend machen, wenn das Schutzgut durch aktives Tun oder durch Unterlassen von Erhaltungsmaßnahmen zum Verschwinden gebracht oder zerstört wurde. Lassen Sie es mich so erklären: Wenn durch Pest und Cholera alle Bären aussterben – nur dann ist ein Bären-Schutzgebiet überflüssig. Aber nicht, wenn sie abgeschossen wurden. Wenn ein Schutzgut nicht mehr da ist, muss evaluiert werden, warum es verschwunden ist und, ob es zurückkommen kann.
Wie realistisch ist die Nachmeldung von 220 Natura-2000-Gebieten?
Es müssen ja nicht alle 220 sein, aber ich rechne mit einem erklecklichen Anteil – etwa mit 150. Die EU-Kommission hat die Lust auf Verhandlungen mit Österreich verloren und geht da einen unmissverständlichen Weg – wie man zum Beispiel an den Beispielen Isel oder Schwarze Sulm sieht. Ohne EU-Mitgliedschaft wäre es um den Naturschutz in Österreich schlecht bestellt.
Was bedeutet Natura 2000? Natura 2000 ist ein europaweites Netz besonderer Schutzgebiete zur Sicherung seltener Tier- oder Pflanzenarten bzw. Lebensräume. Zur Erreichung der Schutzziele werden für diese Gebiete Managementpläne erarbeitet. Bundesweit sind rund 15 Prozent der Gesamtfläche Natura-2000-Gebiete. In NÖ sind es sogar 23 Prozent. Den größten Nachholbedarf hat Kärnten – mit bis dato bloß fünf Prozent. www.umweltdachverband.at
Die Karstlandschaft rund um den 2308 Meter hohen Gipfel des Warscheneck im Süden Oberösterreichs ist in ganz Europa einzigartig: Dort finden sich noch unerschlossene Lärchen- und Zirbenwälder, Karstquellen und -seen sowie Fels- und Schuttfluren, die seltenen Pflanzen und Tieren Lebensraum bieten. Dem Alpenschneehuhn oder dem Dreizehenspecht genauso wie dem Steinadler, der in den Lüften seine Kreise zieht.
Trotzdem wurde in der Pyhrn-Priel-Region jahrelang über eine Skischaukel diskutiert, die Hinterstoder mit der Wurzeralm in Spital am Pyhrn verbindet. Das etwa 75 Millionen teure Liftprojekt von Seilbahnmagnat Peter Schröcksnadel hätte über das Warscheneckmassiv führen sollen. Die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze für die strukturschwache Gegend stand plötzlich im Widerstreit mit dem Erhalt eines einzigartigen Naturraums.
Derzeit sei die Skischaukel vom Tisch, auch weil sie sich wirtschaftlich nicht rechnen würde, erklärt Helmut Holzinger von den Bergbahnen Hinterstoder-Wurzeralm. Es gäbe allerdings auch Ideen für einen Tunnel quer durch den Berg.
Der beeindruckende Canyon mit dem Naturdenkmal „Rinnende Mauer“ ist eines von zwölf Natura-2000-Gebieten in Oberösterreich, das der Umweltdachverband auf seiner Schattenliste führt.
Das Land Oberösterreich war lange mit den Nominierungen säumig, bis Ende 2014 sollen der EU aber nun doch schützenswerte Gebiete vorgeschlagen werden. „Wir kooperieren, setzen allerdings auf das Prinzip Qualität vor Quantität“, sagt Gottfried Schindlbauer, Leiter der Naturschutzabteilung. Oberösterreich werde nicht das Ausmaß an Fläche nominieren, dass die EU fordert, sondern auf einen Kompromiss pochen. Wohl auch, weil Landwirte in vielen Regionen gegen neue Natura-2000-Gebiete Sturm laufen.
Für Herbert Jungwirth gehen die Anstrengungen nicht weit genug. „Gerade ein wirtschaftlich starkes Bundesland wie Oberösterreich darf beim Naturschutz nicht Schlusslicht sein“, meint er.