Chronik/Österreich

Heimskandal: Gericht hebt Bescheid auf

Es waren teils bewegende Szenen, als im März Landesbeamte in drei Kinder- und Jugendheimen in Niederösterreich auftauchten und unter Polizeischutz 16 Kinder mitnahmen – manche auch gegen deren Willen. Die vom damaligen SPÖ-Landesrat Franz Schnabl angeordnete Zwangsschließung der Heime der Therapeutischen Gemeinschaft (TG) könnte sich jedoch nun zum Bumerang für das rote Ressort entwickeln. Weil die Abteilung Kinder- und Jugendhilfe des Landes (GS6) danach kein Ermittlungsverfahren eingeleitet und die Angelegenheit ordentlich prüfen ließ, hat das nö. Landesverwaltungsgericht (LVwG) nun in der Causa ein Machtwort gesprochen und die Vorgangsweise gerügt. Der Bescheid auf Aussetzung des Ermittlungsverfahrens wurde vom Gericht aufgehoben, die Jugendhilfe muss den Fall umgehend prüfen und den TG-Heimen eine Anhörung ermöglichen.

Sonja und Hermann Radler verloren mit der Zwangsschließung ihrer drei Heime in Jaidhof (Bezirk Krems), Ebenfurth (Bezirk Wiener Neustadt) und Sitzendorf an der Schmida (Bezirk Hollabrunn) mit einem Schlag ihre Existenzgrundlage und 80 Mitarbeiter ihren Job.

Sonderkommission

Eine von Schnabl eingesetzte Sonderkommission hatte schwere Missstände „psychischer und physischer Gewalt“ in den Heimen festgestellt. Die Unterbringung entspreche nicht mehr dem Kindswohl, hieß es damals. Deshalb kam es zur Schließung „wegen Gefahr im Verzug“.

Ein großer Teil der Vorwürfe war allerdings bereits zuvor von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt strafrechtlich geprüft und ohne Anklage wieder eingestellt worden. Ehemalige Heiminsassen sagten später aus, dass sie die Anschuldigungen auf Drängen eines gekündigten und erbosten Betreuers nur erfunden hätten. Es sei ihnen dafür Geld in Aussicht gestellt worden.

Obwohl das Land nach der Schließung per Mandatsbescheid verpflichtet gewesen wäre, ein Verfahren samt Anhörung der Beschuldigten einzuleiten, geschah das nicht. „Wir haben nie die Chance bekommen uns zu verteidigen und die Dinge ins rechte Licht zu rücken“, so TG-Chef Hermann Radler. Die GS6 wollte den Akt wegen laufender Erhebungen der Justiz nicht behandeln und stellte einen Bescheid auf Aussetzung des Ermittlungsverfahrens aus.

Radler legte Beschwerde ein und bekam vom Landesverwaltungsgericht nun recht. Der Richter berief sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR), wonach es grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal gibt.

Politische Rochade

Schnabl, der die Causa TG anfangs zur Chefsache erklärt hatte, ist mittlerweile nicht mehr zuständiger Sozial-Landesrat. Seine Nachfolgerin Ulrike Königsberger-Ludwig ( SPÖ) hat die politische Verantwortung für den Heimskandal geerbt. Das Büro der Landesrätin hat erst durch den Anruf des KURIER von dem Urteil des Landesverwaltungsgericht erfahren. „Wir akzeptieren diese Entscheidung selbstverständlich und werden das notwendige Ermittlungsverfahren dazu einleiten. Wegen der laufenden Erhebungen bitten wir um Verständnis nicht mehr dazu sagen zu können“, erklärt Ruth Lashofer-Sieber, Büroleiterin von Ulrike Königsberger-Ludwig.

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