Chronik/Österreich

Es gibt keine "gesunde Watsch’n"

Die „gesunde Watsch’n“ wurde in Österreich 1989 offiziell abgeschafft. Seit damals ist es laut Gesetz verboten, Kinder zu schlagen. Doch im Bewusstsein vieler Österreicher ist das immer noch nicht verankert. „Eine klane Tättsch’n schadet nicht“, meinte etwa vor kurzem der FPK-Politiker Uwe Scheuch.

Dass viele Eltern dieses Verbot nicht kennen, kritisiert der UNO-Kinderrechte-Ausschuss in seinem aktuellen Bericht. Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits nennt dazu erschreckende Zahlen: „Nur ein Drittel aller Kinder wächst hierzulande ganz ohne körperliche und seelische Gewalt auf. Skandinavische Kinder haben es da weitaus besser.“

Was machen die nördlichen Länder besser? „Dort ist es für Eltern keine Schande, sich Hilfe zu suchen, wenn sie in der Erziehung nicht weiter wissen. Bei uns ist das mit Scham behaftet“, meint Pinterits.

Dabei sei es logisch, dass Eltern heute mehr Probleme haben, meint KURIER Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger: „Sie wollen es anders machen als ihre Eltern. Sie wissen aber nicht, wie. Sie schlagen, weil sie überfordert sind.“ Sie plädiert dafür, dass mehr niederschwellige Beratungsstellen für Eltern eingerichtet werden – wie etwa der Family-Coach. „Eltern können da zuerst per eMail oder Telefon Kontakt aufnehmen und Vertrauen zur Institution gewinnen, bevor sie zu einem persönlichen Gespräch oder zur Therapie kommen.“

Pinterits wünscht sich nicht nur Anlaufstellen wie Eltern-Kind-Zentren, das FamilienRAThaus des SOS-Kinderdorfes oder Familienberatungen, sondern auch Kampagnen, die bewusst machen, dass Kinder nicht geschlagen werden dürfen.

Nicht zufrieden ist Reinhold Kerbl (Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde) damit, wie Behörden mit den Daten sexuell missbrauchter oder körperlich misshandelter Kinder umgehen können. „Der Datenschutz verhindert, dass die zuständigen Stellen miteinander kommunizieren. Das geht zu Lasten der Kinder.“

UVP für Kinderrechte

Kein gutes Zeugnis stellt die UNO auch in anderen Bereichen aus: So stehen nicht alle Kinderrechte in der Verfassung. „Es gibt kein bundeseinheitliches Kinder- und Jugendhilfegesetz, wie wir seit Jahren fordern“, sagt Pinterits. Wichtig wäre zudem, dass alle geltenden und zukünftigen Gesetze danach überprüft werden, ob sie mit Kinderrechten vereinbar sind. „Bei der Umwelt haben wir es geschafft. Da gibt es die UVP, also die Umweltverträglichkeitsprüfung.“ So ein Monitoring braucht es für die Kinderrechte. Familienminister Reinhard Mitterlehner will dafür jetzt immerhin 70.000 Euro locker machen.

Reformbedarf ortet die Jugendanwältin auch in der Schule. „Lernen macht den Kindern Freude. In der Schule wird sie ihnen aber oft ausgetrieben, weil die Schüler nicht aktiv mitbestimmen können“, ist Pinterits überzeugt. Ein besonders Anliegen ist ihr der Umgang mit Kindern, die eine Behinderung haben: „Sie müssen viel besser in das öffentliche Leben und in die Schule integriert werden. Und Eltern müssen so unterstützt werden, dass sie diese Kinder zu Hause betreuen können.“

Die von der UNO kritisierten Probleme fallen nicht vom Himmel, sagt Prim. Klaus Vavrik von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit: „Während Therapien für Kinder in Deutschland komplett kostenfrei sind, gibt es in Niederösterreich keinen Ergotherapeuten, im Burgenland keinen einzigen Logopäden auf Krankenschein.“ Bundesweit leben 130.000 Kinder in Armut – ein privater Wahlarzt ist für ihre Familien nicht leistbar.

Susanne Schmid, Ärztin und Mitglied der Plattform Eltern- und Jugendgesundheit vergleicht: „Braucht ein 85-jähriger Schlaganfallpatient eine Physio- oder Logopädietherapie, bekommt er die sofort. Kinder müssen oft bis zu zwei Jahren warten.“ Die Abschaffung der Selbstbehalte und der Ausbau von Therapie-Angeboten sind daher langjährige Forderungen von Kinder- und Jugendorganisationen.

Frühe Hilfen

Das Programm „Frühe Hilfen“, das in Deutschland schon länger etabliert ist, versucht frühzeitig an Familien mit besonderen Belastungen heranzukommen und ihnen zu helfen. Internationale Studien zeigten Rückgänge von 50 Prozent bei Kindesmissbrauch, die Jugendkriminalität sank um 45 Prozent. „Für jeden investierten Euro kommen bis zu 10 Euro an Einsparungen für Sozial- und Gesundheitsausgaben zurück“, sagt Vavrik. Schmid ergänzt: „Wir haben immer weniger Kinder, die einmal das gesamte Sozialsystem finanzieren müssen. Das zeigt, wie wichtig es schon aus rein ökonomischen Gründen ist, dass wir jedes Kind so fördern und ihm helfen, dass es einmal einen Beruf ausüben kann.“

Vavrik kritisiert daher das Streben nach raschen Ergebnissen: „In Kindergesundheit zu investieren, heißt, dass sich die Benefits erst Jahre später zeigen. So langfristig wird in der Politik oft nicht gedacht. Wenn wir nicht rechtzeitig darauf schauen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn aus unseren Kindern dicke, gestresste, kranke Erwachsene werden.“

Sozialinfo: Einen Überblick über soziale Angebote in den einzelnen Bundesländern gibt es unter www.sozialinfo.at

Notruf: Kostenlos, vertraulich und anonym berät der Kindernotruf unter 0800/567 567 bzw. Rat auf Draht unter 147

Rechte: Die Kinder- und Jugend- anwaltschaften machen sich für die Rechte von jungen Menschen stark. Infos: www.kija.at

Family-Coach: Beratung durch Psychologen und Pädagogen gibt es auch per eMail beim KURIER Family-Coach unter familycoach(at)kurier.at