Chronik/Österreich

Coronavirus: Der Kongress tanzt nicht mehr

Rund 23.000 Radiologen aus mehr als 180 Nationen kommen alljährlich im März nach Wien-Donaustadt. Und zwar, um sich beim Europäischen Radiologenkongress (ECR) im Austria Center fortzubilden. Mit 4.000 wissenschaftlichen Vorträgen und 26.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche für die neusten MRT-, CT- oder Ultraschallgeräte ist er der zweitgrößte Kongress dieser Art weltweit.

Doch dieses Jahr ist alles anders. Wegen des grassierenden Coronavirus hat die Europäische Gesellschaft für Radiologie (ESR) am Dienstag entschieden, die Veranstaltung im März abzusagen.

Der Schaden ist erheblich: Der Radiologenkongress ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Wien. Seine Bruttowertschöpfung liegt bei rund 17 Millionen Euro jährlich. Nur wenn der Kongress – wie geplant – von 15. bis 19. Juli nachgeholt werden kann, könnten sich die negativen Effekte in Grenzen halten.

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Die Radiologen sind nicht die einzigen, die ihre Tagung storniert haben: Auch der Börsentag, der am 21. März mit 600 Teilnehmern im Austria Center geplant war, wurde verschoben. Viele Aussteller haben Reiseverbote über Mitarbeiter verhängt.

„Wenn die Hälfte der Aussteller fehlt, ist das nicht sinnvoll“, sagt ein Sprecher. Für Mai wird ein Ersatztermin gesucht. Abgeblasen: Die Designmesse Homedepot die von 12. bis 15. März im Semperdepot geplant war.

Die Europäische Gesellschaft für Radiologie hat durchwegs positive Reaktionen auf die Absage bekommen. Der Weg dorthin sei allerdings ein Spießrutenlauf mit den Behörden gewesen, sagt Direktor Peter Baierl im KURIER-Gespräch. Er verstehe nicht, warum Großveranstaltungen in Österreich noch immer erlaubt sind.

Kritik an der Stadt

Zur Erinnerung: Die Schweiz und Frankreich haben Großevents flächendeckend verboten. In Deutschland finden einzelne Veranstaltungen, etwa die Leipziger Buchmesse, nicht statt. „Eine derartige Verantwortung kann man nicht Privaten übertragen“, sagt Baierl.

Zumal die Absage einer Veranstaltung mit einem großen finanziellen Risiko einhergehe. „Gibt es ein offizielles Verbot, kann man sich als Veranstalter schad- und klaglos halten.“ Ohne offizielle Order sei das viel schwieriger, vor allem für kleine Veranstalter.

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Für ein Dinner am Rande des Kongresses hat sich Baierl etwa in der Hofburg eingemietet – und dafür 75.000 Euro im Voraus bezahlt. Im Fall einer Absage wäre er diese Summe wahrscheinlich los gewesen. Weil es den Ersatztermin im Juli gibt und Baierl schon lange mit der Hofburg zusammenarbeitet, kam sie ihm jedoch entgegen.

Von den Behörden fühlt sich Baierl im Stich gelassen: „Niemand hat uns unterstützt.“ Im Gegenteil: Das Gesundheitsministerium hat für Veranstalter zwar eine Checkliste ausgegeben. Die Vorgaben – etwa Fiebermessen an den Eingängen – seien in der Praxis aber nicht bewältigbar. Das zuständige Wiener Gesundheitsamt (MA 15) habe zudem Fragen der ESR tagelang nicht beantwortet.

Verbot nicht nötig

Die Stadt Wien versichert, dass es derzeit keinen Grund gibt, Großevents zu verbieten. „Wir treffen solche Entscheidungen nach medizinischen Gesichtspunkten, nicht nach wirtschaftlichen“, sagt ein Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Doch was bedeutet es für eine Kongressstadt wie Wien, wenn große Tagungen plötzlich nicht stattfinden? Nichts Gutes. Gastronomie, Hotels und Handel spüren die Auswirkungen des Coronavirus schon jetzt, sagt Markus Gratzer, Generalsekretär der Hoteliervereinigung.

Im März verzeichnen die Wiener Hotels üblichweise rund 1,8 Millionen Nächtigungen – 100.000 davon machen die Teilnehmer des Radiologenkongresses aus. Er verstehe zwar die Sicherheitsbedenken, aber: „Man muss auch die massiven wirtschaftlichen Auswirkungen sehen“, sagt Gratzer.

Wertschöpfung
1,198 Milliarden Euro trug die Wiener Meeting-Industrie 2018 zur österreichweiten Wertschöpfung bei. 21.500 Ganzjahresarbeitsplätze werden dadurch laut Zahlen von Wien Tourismus gesichert

Nächtigungen
1,9 Millionen Nächtigungen jährlich  brachten diese Veranstaltungen den Wiener Hoteliers

Gäste
4.685 Kongresse, Firmenveranstaltungen und Incentives brachten 2018 rund 631.000 Tagungsteilnehmer nach Wien  

83 Prozent der österreichischen Hotels verzeichneten aktuell Stornoanfragen wegen des Virus. Das ergab eine Blitzumfrage des Hotelierverbandes mit 550 Teilnehmern. Der wirtschaftliche Schaden könne nur aufgefangen werden, wenn man das Virus in den nächsten zwei Wochen in den Griff bekomme.

In anderen Bundesländern gibt man sich übrigens entspannter: Die Ab-Hof-Messe in Wieselburg hat nur drei Ausstellern aus Oberitalien abgesagt. Die Boot Tulln und die Energiesparmesse Wels haben palettenweise Desinfektionsmittel bestellt. Zusätzliches Reinigungspersonal wird – so oft wie möglich – die Toiletten und die Türklinken desinfizieren.