Alter! Oder: Warum ich alte Menschen so gern habe
Von Anja Kröll
Es war der 8. März. Es war Weltfrauentag. Es war ich, die Ihnen an dieser Stelle etwas über eine alte Frau erzählt hat, die vor meinem Fenster vorbeispaziert ist.
Na, mehr hat’s nicht braucht. So schnell gilt Frau (!) als frauenfeindlich – und Seniorenhasserin. Denn die spaziergehende Frau vor meinem Fenster schätzte ich auf Mitte 80. Eine Leserin im selben Alter schrieb mir, wie ich es wagen konnte, die Dame vor dem Fenster, und somit indirekt auch sie, als alt zu beschimpfen. Sie sei nicht alt und überhaupt.
Das hätte ich alles noch auf sich beruhen lassen können. Wäre ich nicht kurze Zeit später über eine Umfrage der New York Times gestolpert. Darin ging es darum, wie sich Menschen in ihren Vierzigern – also solche wie ich – selbst bezeichnen. Es fielen Sätze wie: „The early-halfway“, „Late young adult“ und „Peak survival mode“.
Alter! – in welchem Sinn Sie das jetzt lesen wollen –, wann haben wir aufgehört, Alter und die Alten zu schätzen?
Hat die erste Botoxinjektion Weisheit, Lebenserfahrung und Wissen weggespritzt? Ewige Jugend top, tiefgreifende Erfahrung flop?
Ich mag alte Menschen. Keine Golden Ager. Nein, alte Menschen.
Solche, die mir von ihrem Leben erzählen. Die Sätze sagen, deren tiefgehenden Sinn ich erst Jahre später erfasse und mir denke: „Schau, recht hat er g’habt, der Sepp. Damals. Hätte ich doch länger zugehört.“
Alt ist kein Schimpfwort. Es ist ein Wort der Anerkennung. Zumindest in meinem Bergdorf. Denn die Alten wissen Dinge, die in keinen Büchern stehen. Verstehen und kennen die Welt auf eine Art und Weise, die uns Mit-Vierzigern fehlt. Nein, böses Wort: Ich meinte, uns „Late young adult“.