Leitl: "Die Reduktion des CO2-Ausstoßes wird scheitern“
Von Josef Ertl
Christoph Leitl war von 2000 bis 2018 Präsident der Wirtschaftskammer Österreich. Seit 2018 ist der 72-Jährige Präsident der europäischen Wirtschaftskammer Eurochambres.
KURIER: Sie gelten als Fan von guten Beziehungen zu Russland. Durch die Verhaftung des Putin-Kritikers Nawalny haben sich die Beziehungen der EU zur Russland neuerlich verschlechtert. Putin hat auch die Idee eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraumes, der Sie auch anhängen, lange abgeschrieben und verfolgt die Idee eines großrussischen Wirtschaftsraumes, der in etwa der ehemaligen Sowjetunion entspricht.
Christoph Leitl: Das ist kein Widerspruch. Es gibt sogar eine Kommission, die an einer vertieften Wirtschaftsbeziehung zwischen den ehemaligen GUS-Staaten und der EU arbeitet. Nur die Arbeiten kommen, wie so manches in Europa, nur sehr schleppend voran.
Aber dieser gemeinsame europäische Wirtschaftsraum ist doch, solange Putin quasi diktatorisch regiert, eine Illusion.
Nein, das könnte eine tolle Realität sein. Das Know-how Europas könnte sich mit den Ressourcen Russlands hervorragend ergänzen, sodass jeder über die Zusammenarbeit mit dem anderen froh sein muss, weil jeder einen Nutzen hat. Eine an sich gute Idee wird immer wieder durch verschiedene Ereignisse zurückgeworfen, das heißt aber nicht, dass die Idee falsch ist. Dass die Amerikaner das nicht gern sehen würden, ist auch eine Tatsache.
Das Verhältnis von Europa zu den USA hat sich durch Präsident Joe Biden entspannt.
Trotzdem Vorsicht. Die USA betonen immer ihre Leadership-Rolle und wollen uns Europäer in ein Beiwagerl hineinsetzen. Sie fahren im Motorrad. Meine Vorstellung ist eine andere. dass wir drei Autos haben, die Amerikaner, die Chinesen und die Europäer. Die Europäer sind derzeit nicht in der Lage, ihr Gefährt zu lenken, weil sie uneinig und damit nach außen schwach sind. Solange das Einstimmigkeitsprinzip in der EU gilt, kann sich jeder querlegen. Jeder sieht nur die eigene Sichtweise und nicht die gemeinsame. Jeder denkt im Hintergrund, wie steige ich national gut aus. Der Anteil Europas an der Weltbevölkerung beträgt nur sieben Prozent, trotzdem glaubt jeder, er ist der Obergescheite und sieht nicht, dass er gegen die Wand fährt.
Die Gasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland wird unter der Beteiligung der österreichischen OMV fertiggestellt. Wozu benötigt Europa dieses russische Gas, wo doch der Einsatz von Gas zur CO2-Reduzierung verboten werden soll?
Europa ist energieabhängig. Je mehr Versorgungsstränge es hat, umso stärker wird seine Unabhängigkeit. Wir werden Gas brauchen, wenn wir die umweltschädlichen Kohlekraftwerke stilllegen wollen und Europa gegenüber der Atomkraft skeptisch ist.
Halten Sie die Klimaziele wie die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 55 Prozent für realistisch?
Nein. Weil man nicht dazusagt, wie man ein an sich vernünftiges Ziel umsetzt. Ich habe dieses Ziel von der europäischen Wirtschaft sogar erweitert. Die Kreislaufwirtschaft ist viel umfassender. Es ist mir gelungen, auf diese Weise die europäische Wirtschaft von einer skeptischen Haltung in eine befürwortende Position umzudrehen.
Aber wenn man Ziele setzt, wie die Klimaneutralität Europas 2050, und dann wird statt einer CO2-Reduktion von 40 Prozent eine Reduktion von 55 Prozent bis 2030 festgelegt, dann weiß jeder, der sich auskennt, dass das nicht funktionieren wird. Das ist eine rein politische Absichtserklärung, aber kein wirkliches Ziel.
Es wird ebenso scheitern wie alle Ziele, wo kein Plan dahinter war. Vor zehn Jahren wurde proklamiert, Europa wird der stärkste Wirtschaftsraum der Welt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird, wenn sie 2030 aufhören wird, in einem ihrer Hauptziele scheitern. 55 Prozent kommen nie und nimmer zustande.
Um die Klimaneutralität Österreichs bis Jahr zum 2040 zu erreichen, fordern anerkannte Experten ein Verbot von Diesel- und Benzinmotoren und den Umstieg auf batteriegetriebene E-Autos.
Warum lassen wir den Wasserstoff so außer Fokus? Die Antwort, die darauf gegeben wird, lautet, das wird vor dem Jahr 2050 nichts. Warum arbeiten wir nicht konsequent daran, um die ökologischen Ziele zu erreichen?
Kanzler Kurz hat 2019 versprochen, Österreich zu einer führenden Wasserstoff-Nation zum machen.
Es ist das Verhalten der Politik, Bilder aufzubauen, um Wahlen zu gewinnen. Aufgabe der Wirtschaft ist es, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, um damit Nutzen zu stiften. Aber wenn man die Ziele nicht umsetzt, kann man keinen Nutzen stiften.
Ich frage, wo kommt die Elektrizität her, wenn wir wirklich alle konventionellen Energieträge auf die Elektrizität umstellen. 40 Prozent der produzierten elektrischen Energie kommt wegen Leitungsverlusten nie beim Verbraucher an. Kohlekraftwerke wollen wir abschalten, Deutschland will sich 2023 von der Atomenergie verabschieden. Auch hier wird eine politische Ansage gemacht, ohne zu sagen, welche Maßnahmen gesetzt werden, um die Energieversorgung Deutschlands zu sichern.
Nehmen wir einmal an, wir haben trotzdem genügend elektrische Energie. Wie wird sie gespeichert? Wo sind die Batterien? Wo kommen die Rohstoffe für die Batterien her? Wie werden die Batterien entsorgt? Solange diese Fragen nicht geklärt sind und man sich nur an einem Zauberwort ohne reale Substanz aufhängt, kann ich das als realistischer Mensch nicht ernst nehmen. Das sind Sprechblasen.
Es werden also hauptsächlich Sprechblasen produziert?
Ich will mich eines Pauschalurteiles enthalten, aber heute sieht man die Dinge vielfach punktuell. Derzeit rennt alles dem grenzgenialen Typen Elon Musk nach. Ich bin gegen Verteufelungen jeder Art. Wir werden nach wie vor daran arbeiten müssen, die herkömmlichen Verbrennungsmotoren zu verbessern. Ich bin gegen Verbote. Man sollte in der Technologie Fortschritte machen. Es gibt hier so tolle Unternehmen in Österreich wie AVL List.