Holzleitner: „Es geht um die Selbstbestimmung der Frauen“
Von Josef Ertl
Die 28-jährige Welserin Eva Maria Holzleitner ist Abgeordnete zum Nationalrat und seit 25. Juni neue Bundesvorsitzende der SPÖ-Frauen.
KURIER: Sie sind schon seit vier Jahren im Nationalrat, nun sind Sie auch SPÖ-Frauenchefin. Das ist eine eindrucksvolle Karriere. Warum sind Sie so schnell so weit gekommen?
Eva Maria Holzleitner: Den Einzug in den Nationalrat habe ich der Wahlarithmetik zu verdanken. Im Innviertel ging das Wahlkreismandat verloren, die Stimmen wanderten in den Landeswahlkreistopf, ich kam dadurch als Zweite der Landesliste zum Zug. Das war für mich persönlich überraschend, ich glaube, die Landespartei hat damit auch nicht gerechnet. Die Wahl zur Bundesfrauenvorsitzenden erscheint mir teilweise noch immer unwirklich, aber zu 90 Prozent habe ich sie nun realisiert.
Ändert das Ihre Lebensweise?
Das Leben aus dem Koffer war ich durch meine Fahrten nach Wien schon gewohnt. Das verstärkt sich. Es geht nicht mehr nur um Wien, sondern um ganz Österreich. Der Auftrag und die Verantwortung sind schon noch einmal größer. Frauenvorsitzende waren immer extrem tolle Persönlichkeiten, die viel weitergebracht haben. Wie Johanna Dohnal, Barbara Prammer oder Gabriele Heinisch-Hosek, die das zwölf Jahre gemacht hat.
Es gab drei Bewerberinnen, Sie sind gewählt worden. Warum?
Bei der Konferenz hatte jede Bewerberin 15 Minuten, um sich zu präsentieren. Vorher hatten wir bereits Minihearings über Facebook-Life und Youtube gemacht. Es ging stark um inhaltliche Fragen, denn persönlich hatten wir uns bereits bei den Landesfrauen vorgestellt. Die inhaltlichen Fragen liegen mir gut.
Was wollen Sie realisieren?
Wenn wir die Selbstbestimmung der Frauen in allen Lebensbereichen erreichen, sind wir sehr weit. Ein aktuelles Thema, das fast täglich in den Medien ist, ist der Gewaltschutz. Hier muss man mehr investieren, es geht hier viel um Geld. Wir brauchen mehr Frauenhausplätze. Die Frauenberatungsstellen müssen ebenfalls auf sichere Beine gestellt werden. Sie sind wichtige Anlaufstellen, die stark unterfinanziert sind. Arbeit ist ein Dauerbrenner. Frauen müssen leichter von prekären Verhältnissen in Vollzeitanstellungen kommen.
Was verstehen Sie unter prekären Verhältnissen?
Teilzeitbeschäftigungen, Befristungen, unbezahlte Praktika in den Gesundheits- und Sozialbereichen. Am Ende des Erwerbslebens spiegelt sich das alles in den niedrigen Pensionen wider. Es geht auch um die Selbstbestimmung im Alter, die Menschen dürfen nicht von Existenzängsten bedroht sein.
Die Pensionshöhe der Frauen ist halb so hoch wie die der Männer. Viele sind armutsgefährdet. Was kann man dagegen tun?
Man muss die Karenzzeiten besser anrechnen. Der ganz zentrale Punkt ist die Vollzeitbeschäftigung, hier muss man bei den jungen Frauen ansetzen. Nur so wird entsprechend in die Pensionskassen einbezahlt. Nur so können Frauen selbstbestimmt leben, das erleichtert zum Beispiel die Trennung von einem gewalttätigen Mann. Man muss den Mädchen bereits in der Schule mitgeben, dass ein Vollzeiterwerbsleben wichtig ist.
Die Politik muss die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Wir bieten für die unter Dreijährigen eine extrem schlechte Betreuung an. Wenig förderlich ist auch, dass in Oberösterreich die Eltern für die Nachmittagsbetreuung zahlen müssen. Ich kenne einige Frauen, die sagen, ich arbeite zwei, drei Stunden pro Woche weniger, denn sie müssten den Mehrverdienst für die Nachmittagsbetreuung ausgeben.
Viele Frauen entscheiden sich ganz bewusst für Teilzeitarbeit. Sie wollen Berufsleben und Familienarbeit in Einklang bringen.
Man muss den Frauen mitgeben, was das für sie auslöst. In anderen Ländern, vor allem den nordischen, sind Familie und Beruf auch vereinbar und die Frauen gehen dort nicht Teilzeit arbeiten. Der hohe Anteil an Teilzeitarbeit ist ein Österreich-Spezifikum. Krabbelstuben und Kindergärten bedeuten nicht nur Betreuung, sondern auch Bildung. Man darf diesen Mehrwert nicht außer Acht lassen. Hier passiert Frühförderung.
Sie sind in der Welser SPÖ stark verankert. Ihre Partei hat bei der Wahl 2015 den Bürgermeistersessel verloren, den sie seit 1945 innegehabt hat. Hat die SPÖ die Chance, ihn bei der Wahl am 26. September zurückzuerobern?
Es ist in greifbarer Nähe, dass wir mit unserer Spitzenkandidatin Petra Wimmer, die Familiensprecherin im Nationalrat ist, in die Stichwahl kommen. Es ist auch ein Plus im Gemeinderat möglich (Wahlergebnis 2015: SPÖ 26,9 %, ÖVP 17 %, FPÖ 43,1 %, Grüne 8 %).
Sehen Sie eine realistische Chance, die blau-schwarze Koalition in Wels aufzubrechen?
Ja, die sehe ich.
Mit wem wollen Sie koalieren? Wer wäre Ihr bevorzugter Partner, die FPÖ oder die ÖVP?
Beide wären nicht meine Wunschpartner.
Also die Grünen?
Die Frage ist, ob man mit ihnen eine Mehrheit bekommt.
Der Landtag wird am 26. September ebenfalls neu gewählt. Die SPÖ (2015: 18,4 %) hat in den Umfragen leicht zugelegt, bevor Pamela Rendi-Wagner beim Parteitag nur 75 % erhielt und es zum Konflikt zwischen ihr und Hans Peter Doskozil gekommen ist.
Auch auf Landesebene ist ein Plus möglich. Die Landesparteivorsitzende und der Landesgeschäftsführer wollen Platz 2 erreichen.
Ist das realistisch?
Ein Plus ist möglich. Es wurde die Nachmittagsgebühr in den Kindergärten und Studiengebühren an den Fachhochschulen eingeführt. Wohnen wird immer teurer. Die Sozialdemokratie würde die Dinge anders lösen. Zum Beispiel bei den Wohnbeihilfen. Junges Wohnen muss man noch stärker fokussieren. Es muss ein Ziel sein, die jungen Leute hier im Land zu halten und alles zu tun, damit sie nicht nach Wien oder Graz abwandern. Es braucht gute Lebensumstände für die jungen Leute. Auch die Tickets im öffentlichen Verkehr sind für die Jungen relativ teuer. Platz 2 hängt immer auch von der Performance der anderen Mitbewerber ab. Wie sich die FPÖ entwickelt, ist ein erheblicher Faktor. Entsteht hier vielleicht ein Konflikt zwischen Haimbuchner und Kickl?
Neben persönlichen Querelen geht es auch um einen inhaltlichen Konflikt in der Partei. Persönlichkeiten wie der ehemalige Innenminister Karl Schlögl oder der burgenländische Landeshauptmann Doskozil plädieren für ein Ende der Zuwanderung. Sie plädieren für einen Kurs ähnlich dem der erfolgreichen dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Wesentliche Teile der Partei wie die Linken lehnen das ab. Wie ist Ihre Position?
Es ist nicht so einfach, zu sagen, Zuwanderung ja oder nein. Es gibt viele Beispiele, wo Zuwanderung gut funktioniert. Wie das Beispiel der Initiative Ausbilden statt Abschieben zeigt, die auch von Konservativen unterstützt worden ist. Wenn jemand straffällig wird oder Konflikte auftauchen, stellt sich die Frage, warum das passiert. Da haben wir in den vergangenen Jahren vielleicht nicht immer den richtigen Riecher gehabt.
Wie ist Ihre persönliche Position in der Frage?
Eine humanistische. Eine Festung Europa kann es nicht geben. Als Friedensprojekt darf es auch nicht ihr Auftrag sein. Es hat fürchterliche Pushbacks an den Grenzen gegeben, die nicht rechtens waren. Schutzsuchende Menschen brauchen unsere Unterstützung.
Sind Sie der Meinung, dass man die Flüchtlinge aus dem griechischen Lager Moria aufnehmen soll?
Ja. Wenn Kinder von Ratten angebissen werden, und traumatisiert werden, sind das Zustände, die ich in Europa nicht ertragen will. Wir müssen helfen.
Der überwiegende Teil der Flüchtlinge sind Wirtschaftsflüchtlinge, die nicht unter den Asylbegriff fallen. Europa wird sich schwertun alle Leute aufzunehmen, die ihr Leben verbessern wollen.Wie zieht man hier die Grenzen?
Das ist ein sehr komplexes Thema. Mit dem Kompass, den die Landeshauptleute Kaiser und Doskozil ausgearbeitet haben, haben wir gute Richtlinien, auf die wir uns geeinigt haben. Es gibt viele Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn die Hilfe vor Ort aber nicht ankommt, macht es die Situation nicht besser und die Leute gehen trotzdem. Es gibt in der EU hier sehr unterschiedliche Standpunkte. Die einen mauern und sagen Festung Europa, ich meine, das entspricht nicht unserem Auftrag. Die anderen sagen, wie kann man die Flüchtlinge auf die Länder aufteilen, welche Hilfsprogramme funktionieren gut. Es ist ein Problem, dass die Asylverfahren so lange dauern.
Das wird schon seit 20 Jahren beklagt.
Im öffentlichen Dienst, dazu gehört auch die Justiz, ist sehr lange gespart worden.