„Aufarbeitung der Hagelschäden dauert zwei Jahre“
Von Josef Ertl
Katrin Kühtreiber-Leitner ist Vorstand der Oberösterreichischen Versicherung und Vorsitzende der Fachgruppe Versicherungswirtschaft in der Wirtschaftskammer. Die 47-Jährige ist Mutter einer Tochter und war von 2009 bis 2019 Bürgermeisterin von Hagenberg bei Linz.
KURIER: Der Hagel hat allein in Oberösterreich 80.000 Schadensfälle mit einem Schaden von 450 Millionen Euro verursacht. Wie kann man das bewältigen?
Katrin Kühtreiber-Leitner: Der Schaden ist enorm. Allein uns als Oberösterreichische wurden 12.800 Fälle mit 80 Millionen Euro Schaden gemeldet. Rund 1.000 Fälle sind bisher erledigt. Unsere Mitarbeiter sind rund um die Uhr im Einsatz. Es ist nicht einfach, Sachverständige zu bekommen. Unsere Mitarbeiter müssen selbst Gutachten erstellen, anders geht es gar nicht.
Sind die Geschädigten alle versichert?
Ja, sie sind alle versichert. Sie haben die Haushaltsversicherung.
Bei den Autos?
Das sind Kaskofälle.
Das bedeutet, sie erhalten den Schaden nur ersetzt, wenn sie eine Kaskoversicherung haben?
Genau.
Wie viel erhalten die Geschädigten ersetzt?
Das, was der Schaden ausmacht. Sie bekommen auch die Eigenleistung ersetzt, denn es ist momentan schwierig, Dachdecker und Handwerker zu finden. Das Allerwichtigste ist die Fotodokumentation. Die Eigenleistung erfolgt sehr schnell, es gibt sehr viele geschickte Menschen, die das selbst machen und das ersetzt bekommen. Wir sind froh darüber.
Wie lange wird es dauern, bis Ihr Unternehmen die Fälle alle aufgearbeitet und abgewickelt hat?
Wir werden sicher zwei Jahre benötigen, bis alles fertig ist, auch die Spätschäden.
Der enorme Schaden ist für Ihr Haus eine finanzielle Belastung. Wie hart trifft es die Versicherung?
Im Endeffekt sind wir mit Rückversicherungsverträgen abgedeckt, die jährlich erneuert und adaptiert werden. Die Versicherungsprämien werden nicht erhöht, die Verträge haben ihre Laufzeiten.
Wenn Sie meinen, es braucht höhere Beiträge, werden diese also erst beim Abschluss neuer Verträge erhöht.
Richtig. Unsere Mitarbeiter schauen aber bei Abwicklung eines Schadens schon, ob die Verträge auf aktuellem Stand sind oder sie adaptiert werden sollen. Seit 2016/’17 muss in regelmäßigen Abständen eine Abwägung aller Risiken gemacht werden.
Die Handwerker kommen wegen des Baubooms und der nunmehrigen Schäden kaum mit ihrer Arbeit nach. Die Dachdecker rechnen, dass sich die Aufarbeitung bis in den Winter hinein ziehen wird. Dazu kommen enorme Preissteigerungen, bei den Dachdeckern von einem Jahr zum anderen von 36 Prozent, vor allem wegen des Materials. Was bedeutet das für Ihr Haus?
Dass wir mehr zahlen müssen. Unsere Berater kennen ihre Kunden sehr gut und sagen ihnen „Mach dir das und das gleich selbst.“ Unser großer Vorteil als Regionalversicherer ist die Nähe zum Kunden. Unsere Berater verfügen über ein gewisses Pouvoir . So können wir schneller agieren. Wenn man nur auf Professionisten angewiesen wäre, könnten wir nicht so schnell reagieren. Wir haben über viele Jahre ein gutes Netzwerk an Professionisten aufgebaut, das ist das Verdienst einer guten Schadenabteilung. Unsere Mitarbeiter wissen, wen sie anrufen können, damit es schneller geht.
Manche sagen, die Hagelschäden seien Folge des Klimawandels. Stellt Ihr Unternehmen eine Zunahme schwerer Unwetter fest?
Bis dato nicht. Dieser Hagel war aber das größte Schadensereignis, das wir jemals gehabt haben. Beim Hagel „Wolfgang“ 2009 gab es 8.000 Geschädigte mit 50 Millionen Euro Schaden.
War der nunmehrige Hagelschaden größer als die Hochwasserschäden von 2002 und 2013?
Das kann man nicht vergleichen, denn die Versicherungsverträge sind ganz andere.
Welche Konsequenzen hat das Hagelunwetter für Ihr Haus?
Unmittelbar keine. Ich hatte ein Gespräch mit dem Generaldirektor der Hagelversicherung, der vor der weiteren Versiegelung der Böden warnt. Das ist ein wichtiges Thema. Aus meiner Zeit als Bürgermeisterin weiß ich, dass in Hagenberg bei Starkregen die Pumpwerke der Wasserversorgung regelmäßig überflutet worden sind. Das zeigt, dass zu viel verbaut wird. Man sollte die Zentren verdichten und Grünland Grünland sein lassen, damit das Wasser versickern kann.
Der Automarkt verändert sich, es werden zunehmend E-Auto gekauft. Bedeutet das auch eine Änderung im Versicherungsgeschäft für die Pkw?
Nein, nicht wirklich. Schaden bleibt Schaden. Die Batterien sind mitversichert, bei manchen Anbieten muss man für die Batterien eine eigene Versicherung abschließen, bei uns nicht.
Die Oberösterreichische ist ein Regionalversicherer. Wie können sich Regionalversicherer am Markt behaupten? Spüren Sie die Tendenz zur Zentralisierung?
Nein, gar nicht, ganz im Gegenteil. Unsere Stärke ist die Nähe zum Kunden. Wir kennen die Kunden, wir reden mit ihnen. Er kann uns jederzeit anrufen und landet nicht in einer Hotline in Wien. Gerade bei solchen Ereignissen suchen die Kunden den persönlichen Kontakt. Wir können auch Sonderwünsche sehr rasch umsetzen. Das ist unsere Stärke.
Zum Beispiel?
Ein Unternehmer will einen Maßanzug für seine Firma oder eine Lösung für seine Autoflotte. Wir haben dafür die Experten. Wir suchen zum Beispiel nach Lösungen für die Holzbranche, eine Branche, die bei den Versicherungen wenig begehrt ist. Die EU verlangt auch von uns, dass wir bedarfsgerecht beraten müssen. Es geht den Länderversicherern derzeit gut, weil die Kunden die Nähe schätzen. Künftig wird der Online-Bereich eine größere Rolle spielen. Die junge Generation wird möglicherweise die Versicherung über ihr Handy abschließen.