Chronik/Niederösterreich

Todesfahrt auf S4 wegen zu geringer Pension: Lkw-Lenker verurteilt

Die Emotionen gingen hoch im Schwurgerichtssaal des Landesgerichtes Wiener Neustadt. Mit tränenerstickter Stimme hatte sich der Angeklagte gerade an die Familie jener Frau gewandt, die gemeinsam mit ihrer 16-jährigen Tochter bei einem von ihm verursachten Verkehrsunfall im April dieses Jahres ums Leben gekommen war. Weinend bat der 66-jährige serbische Staatsbürger um Verzeihung. „Ich hätte sterben sollen, nicht sie“, hatte er zuvor bereits gesagt.

Schuldbekenntnis

Doch zu tief saß die Trauer offensichtlich noch bei den Hinterbliebenen. Eine gut zehnminütige Diskussion entbrannte – in ungarischer Sprache. Mit einem überraschenden Ergebnis. Als sich der Angeklagte wieder der Richterin zuwandte, änderte er seine Verantwortung: Hatte er sich zuvor nur „teilweise schuldig“ bekannt und beteuert, sich an den Unfall aufgrund eines medizinisches Notfalls nicht erinnern zu können, sagte er plötzlich: „Nach dem Gespräch mit der Familie will ich mich jetzt schuldig bekennen.“

Das Unglück hatte sich am 24. April auf der S4 Burgenland-Schnellstraße bei Wiener Neustadt ereignet. Der 66-Jährige war mit seinem Schwerfahrzeug nach rechts von der Straße abgekommen, gegen die Leitplanke geprallt und deshalb auf die Gegenfahrbahn geraten. Dort rammte der Lkw einen entgegenkommenden BMW, stürzte um und blieb auf dem Pkw liegen. Die Lenkerin und ihre Tochter auf dem Beifahrersitz starben noch an der Unfallstelle. Ein weiterer Fahrzeuglenker konnte nicht mehr ausweichen und wurde verletzt.

„Dunkel vor Augen“

„Mir wurde auf einmal dunkel vor den Augen“, schilderte der Angeklagte die letzten Sekunden vor dem Unfall, an den er sich nicht erinnern könne. Seine Diabetes-Erkrankung sei Auslöser des Vorfalls gewesen. Dem widersprach jedoch der medizinische Sachverständige. Weder Unter- noch Überzucker sei zum Unfallzeitpunkt vorgelegen, befand er.

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Auch der Lkw habe keinerlei Mängel aufgewiesen, stellte ein weiterer Sachverständiger fest. Besonders tragisches Detail: Der 66-Jährige, der bei dem Unfall selbst verletzt wurde, befindet sich eigentlich schon seit November 2022 im Ruhestand. „Aber ich bekomme nur 165 Euro Pension, darum muss ich noch fahren“, gab er zu Protokoll.

Ob er sich aufgrund seines Alters nicht mehr in der Lage fühle, ein Schwerfahrzeug zu lenken, wollte die Richterin wissen. „Im Moment nicht. Es geht mir noch immer sehr schlecht, weil ich für den Tod von zwei Menschen verantwortlich bin“, lautete die Antwort: „Aber grundsätzlich schon. Es gibt Kollegen, die fahren noch mit 85 Jahren.“

Das Urteil, sieben Monate Haft – bedingt nachgesehen – ist nicht rechtskräftig. Die Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen von 1.500 Euro wurden anerkannt – weitere werden aber wohl noch auf dem Zivilrechtsweg folgen. „Ehemann, Tochter, Schwester und Bruder der Opfer haben seit dem Unfall kein Leben mehr“, schilderte deren Anwältin.

S4-Sicherheitsausbau beginnt

Es ist ein erstaunlicher Zufall. Während sich der Lkw-Lenker am Landesgericht Wiener Neustadt für den tödlichen Unfall im April verantworten musste, begann nur wenige Kilometer entfernt der  Sicherheitsumbau der S4. Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte die Arbeiten als Reaktion auf zahlreiche Todesopfer in Auftrag gegeben. Denn der tragische Unfall, der eine 49-Jährige und ihre 16-jährige Tochter im April das Leben kostete, war nicht das einzige tödliche Unglück auf der Schnellstraße. Schon davor hatten mehrere Fahrzeuglenker dort ihr Leben verloren, im August dieses Jahres forderte eine Kollision wieder drei Todesopfer.

Trotzdem gab es lange Diskussionen um mögliche Sicherheitsmaßnahmen. Das 180 Millionen Euro teure Projekt auf 14 Kilometern Länge zwischen Niederösterreich und dem Burgenland lag seit 2019 auf Eis – aufgrund zahlreicher Einwände von  Kritikern und Gegnern. Nun startet die Asfinag mit der Errichtung temporärer Sicherheitsmaßnahmen.

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Behinderungen

Um schwere Frontalkollisionen zu vermeiden, wird bis Ende des Jahres eine bauliche Mitteltrennung errichtet und der Verkehr dafür pro Fahrtrichtung wechselweise auf zwei Fahrspuren bzw. auf einer geführt. Dies soll  bis zum eigentlichen Sicherheitsausbau im Herbst 2025 die Verkehrssicherheit gewährleisten.

Nach Fertigstellung der temporären Sofortmaßnahmen in rund sechs Wochen ist zusätzlich eine Radarüberwachung für diesen Bereich geplant, kündigte Gewessler an. Der gesamte Abschnitt zwischen Mattersburg und der Anschlussstelle Lanzenkirchen ist ab 1.11. voraussichtlich sechs Wochen lang pro Fahrtrichtung nur jeweils einspurig befahrbar. In dieser Zeit entfernt die ASFINAG die im Mittelstreifen eingelassenen Metallrückstrahler und nimmt Neumarkierungen vor. Da die Maßnahmen teilweise witterungsabhängig sind (ist es zu nass, können keine Bodenmarkierungen aufgebracht werden), kann es zu kurzzeitigen Verschiebungen kommen.

Für das Stellen der Betonleitwände zur Trennung der Richtungsfahrbahnen, erfolgt ab voraussichtlich Mitte November die Sperre der S 4 jeweils zwischen zwei Anschlussstellen. Diese Sperren dauern pro Abschnitt rund eine Woche und erfolgen immer nachts zwischen 20 Uhr und 5 Uhr in der Früh. Sie werden vor Ort auf der S 4 mittels Ankündigungstafeln avisiert.

Während der Einrichtung der temporären, sicherheitserhöhenden Sofortmaßnahmen gilt Tempo 80.