Kurioses Niederösterreich: Vom Pinkelstein ins Geisterdorf
Von Bernhard Ichner
Not macht erfinderisch. Also besannen sich die Hüter der Kellergasse – die „Köllamauna“ – im Weinviertler Örtchen Raschala auf der verzweifelten Suche nach einer Touristenattraktion Mitte der 1970er der eigenen Vergangenheit. Und weil Wolfgang Amadeus Mozart 1787 auf dem Weg von Wien zur Uraufführung von „Don Giovanni“ in Prag hier Station gemacht haben könnte, schufen sie kurzerhand die Mär, dass sich das weltbekannte Genie in Raschala erleichtert habe.
Der auserkorene „ Pinkelstein“, der eigentlich ein Granitblock von der Waldviertler Kogelheide ist, wurde also mit einer Inschrift versehen, die Mozarts angeblichen Austritt in blumigen Worten schildert, und in der Kellergasse aufgestellt. Darüber hinaus rief man auch noch den Freistaat Raschala samt eigener Währung aus (100 Tröpfler sind ein Pinkler) und hob das mittlerweile traditionelle Pinkelsteinfest aus der Taufe.
Das ist nur eine der rund 80 Attraktionen, die die Autoren Alexandra Gruber und Wolfgang Muhr in ihrem dieser Tage erschienenen Buch „50 Dinge, die ein Niederösterreicher getan haben muss“ einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen wollen. Für die gleichermaßen informative wie amüsante Lektüre legten die beiden in fünf Monaten rund 8000 Kilometer mit Zug, Schiff, Auto, Fahrrad und Seilbahn sowie zu Fuß zurück; besuchten spannende Orte und außergewöhnliche Menschen.
Längstes Mohngemälde
Wie zum Beispiel Johann Neuwiesinger, seines Zeichens Dorfwirt von Armschlag im Waldviertel, dessen Leben sich rund ums identitätsstiftende Thema Mohn dreht. So etablierte der Gastronom im 100-Einwohner-Ort nicht nur einen Mohnlehrpfad, sondern trug auch die größte Mohnmühlensammlung der Welt mit rund 2000 Exemplaren zusammen. Seinen Parkplatz ziert überdies das mit 60 Metern weltweit längste Mohngemälde. Themenspezifische Kunst hat in der Gegend übrigens jahrhundertelange Tradition. Denn im Nachbarort Grainbrunn hängt ein Gemälde von 1517, auf dem das Jesuskind tatsächlich einen Mohnschnuller hält.
Einen begeisterten Geschichtenerzähler fanden Gruber und Muhr auch in Helmut Plach, Hobby-Ortsachivar von Thaya im Waldviertel. Der kam auf die Idee, unter dem örtlichen Gasthaus „Haidl-Keller“ Boot zu fahren.
Möglich ist das ob des seit Jahrhunderten vorhandenen Erdkellers, der einst Lagerzwecken diente und zu diesem Zweck sukzessive erweitert wurde. Da man im Zuge solcher Grabungen einmal unabsichtlich eine Zisterne anbohrte, wurde der Keller geflutet – und unbrauchbar. Bis Plach vorschlug, das unterirdische Gewässer touristisch zu nutzen. Wer möchte, kann also auf einer Länge von 40 Metern übers Wasser schippern und dabei Plachs historischen Ausführungen lauschen. In einem Hartschalenboot übrigens – das ursprünglich eingesetzte Schlauchboot brachten Besucherinnen mit ihren Stöckelschuhen zum Sinken.
Für ihr Buch ließen die Autoren keine Ecke Niederösterreichs aus. Sie steckten ihre Köpfe in den Summstein der Kraftarena Groß Gerungs; bewunderten im laut einer Hongkonger Tageszeitung „kuriosesten Museum der Welt“ – im Herrnbaumgartner Nonseum – Dinge, die die Welt nicht braucht (wie zum Beispiel ein tragbares Loch mit Lochschoner) und tanzten im Labyrinthkeller Umschaid acht Meter unter Tage auf dem buchstäblich tiefsten Ball des Landes.
Kirchturm ohne Kirche
Gruber und Muhr erforschten in Döllersheim auch die dunkle Geschichte eines Geisterdorfs im militärischen Sperrgebiet. Um den Truppenübungsplatz Allentsteig errichten zu können, hatten die Nationalsozialisten die Bewohner 1938 abgesiedelt. Die Häuser sind seither verfallen. Gut erhalten ist allerdings die Kirche, in der Adolf Hitlers Großeltern einander einst das Jawort gaben. Seine Großmutter, Anna Maria Schicklgruber, ist auf dem örtlichen Friedhof bestattet.
Ihr Streifzug durch Niederösterreich führte die Autoren auch auf den Galgenberg nach Wildendürnbach – wo sie in einem Kirchturm ohne Kirche die Glocke läuten durften. Das Hauptschiff des kleinen Gotteshauses wurde einst gesprengt. Warum der Kirchturm dabei so gut wie unbeschadet stehen blieb, ist ein Rätsel.
Einige der Attraktionen, die Gruber und Muhr in 50 Kapiteln sowohl witzig als auch einfühlsam beschreiben, sind bereits bekannt und können mit der NÖ-Card besucht werden. Von anderen wissen nur Insider. „Das mag daran liegen, dass die unmittelbare Umgebung oft wenig Beachtung findet“, meint Gruber. „Viele wissen schon nicht mehr, was es in der Nachbarortschaft gibt.“
Das soll sich nun ändern. Die Autoren stellen das im Styria Verlag erschienene Buch am 15. November in Mistelbach (19 Uhr, Facultas) und am 28. in Wiener Neustadt (18.30 Uhr, Buchhandlung Thiel) vor. Erhältlich ist es um 20 Euro ab sofort im Buchhandel.