Kalte Kuchl: Wie ein Düsenjet auf zwei Rädern
Von Patrick Wammerl
Es ist nicht nur die süße Verführung des Topfenstrudels, weshalb an schönen Wochenenden Tausende Biker in die Kalte Kuchl pilgern. Zwar lohnt sich die Einkehr beim Alpengasthof, aber im Grunde sind es die engen Kurven auf der Bergstrecke durch die Gutensteiner Alpen in NÖ, die jedes Motorradfahrerherz höherschlagen lassen.
Bei aller Freude über den regen Ausflugstourismus hat die Sache aber auch einen schalen Beigeschmack. Mehr als 200 Anzeigen wegen Raserei an einem einzigen Tag sind keine Seltenheit. Der Temporausch auf Niederösterreichs wohl berüchtigtster Motorradstrecke ist ungebrochen.
Lärmgeplagte Anrainer
Das wissen vor allem die lärmgeplagten Anrainer zwischen Lilienfeld, St. Aegyd am Neuwald und Pernitz, die an heißen Sommertagen ihre Fenster lieber geschlossen halten. Kein Wunder, verabreden sich doch immer noch Tempobolzer auf zwei Rädern zum illegalen Adrenalinkick – ein Rennen entlang des Lahnsattels oder über den Rohrer Berg.
Feig ist, wer nicht mit dem Knieprotektor am Asphalt schleift. „Ohne Kontrollen ist hier dem Wahnsinn Tür und Tor geöffnet“, bringt es ein Polizist auf den Punkt, bevor er mit der Laserpistole in Stellung geht.
Und das, obwohl bereits vor 15 Jahren wegen des hohen Blutzolls und der Lärmbelästigung die Notbremse gezogen wurde. Seither gilt für die beliebten Bikestrecken rund um die Kalte Kuchl rigoros Tempo 70 für Zweiräder. Dass sich nicht alle dran halten, zeigt der gemessene Rekord am Rohrer Berg (Bezirk Wiener Neustadt): Dort wurde ein Biker mit 229 km/h geblitzt. Ob der Fahrer seiner Frau am Sozius imponieren oder sie vergraulen wollte, ist nicht überliefert.
Schwarze Schafe
An diesem Wochenende startete die nö. Verkehrsabteilung zusammen mit dem technischen Prüfzug des Landes wieder eine Aktion scharf im Alpenvorland. „Es geht nicht um jene, die bei einer gemütlichen Ausfahrt ein paar km/h zu schnell dran sind. Wir konzentrieren uns auf die Unbelehrbaren und versuchen, die schwarzen Schafe herauszufiltern“, erklärt Einsatzleiter Oberst Gottfried Macher, stellvertretender Leiter der nö. Verkehrspolizei beim Lokalaugenschein des KURIER. Gemeint sind damit nicht nur jene, die auf der kurvenreichen Strecke glauben, Valentino Rossi imitieren zu müssen.
Ein großes Thema für die Polizei ist das Problem der modifizierten Maschinen. Im Blickpunkt der Techniker sind illegale Umbauten und die teils beängstigende Geräuschkulisse. Teilweise staunt Philipp Huschka vom technischen Prüfzug, wenn Auspuffanlagen mit mehr als 110 Dezibel ganz legal im Zulassungs- und Typenschein eingetragen sind. Dahinter steckt ein milliardenschwerer Industriezweig. „Das ist mit hochgezogenem Motor fast schon so laut wie ein Düsenjet“, ergänzt Macher.
Der erste Treffer
Es dauerte nicht lange, da landeten die Kontrollore den ersten Treffer. Ludwig R., 21, aus Hollabrunn wurde mit seiner 120 PS starken Yamaha gestoppt. „Der Auspuff ist zu laut. 98 Dezibel wurden gemessen. Ich darf aber zum Glück weiterfahren und muss die Auspuffanlage umbauen“, erzählt der Biker.
Einen teuren Ausflug machte dieses Wochenende der 48-jährige Waldviertler Christian P.: „Bei mir wurde zu wenig Reifenprofil gemessen, obwohl ich zu Hause einen neuen Reifen liegen habe“, ärgert sich der Gastronom. Nachdem die Polizei ihm die „Taferl“ zunächst an Ort und Stelle abnehmen wollte, gab es schließlich ein besonderes „Kundenservice“: Ein Händler in der Nähe hatten den richtigen Reifen lagernd. Nach einem schnellen Reifenwechsel durfte Christian P. seine Spritztour fortsetzen.
Bilanz
Alleine am ersten Tag wurden 300 Motorräder kontrolliert und 31 davon vom Prüfzug inspiziert. Dabei mussten wegen Gefahr im Verzug sechs Kennzeichen abgenommen werden, zehn schwere Mängel wurden registriert.
Insgesamt setzte es am Samstag 207 Anzeigen (großteils wegen überhöhter Geschwindigkeit) und 67 Organmandate. Trotz der massiven Kontrollen gab es, speziell am Sonntag auf regennasser Fahrbahn, zahlreiche Unfälle.
Der Motorradboom ist aber ungebrochen. Nachdem die Neuzulassungen Anfang der 2000er-Jahre noch bei 16.000 Motorrädern pro Jahr lagen, gab es 2016 einen Rekord von 29.808 Neuzulassungen. 2019 lag die Zahl mit 27.696 nur knapp darunter.