Zwei tote Flüchtlinge: Sieben Jahre Haft für Schlepper
Der 19-jährige Schlepper, in dessen Klein-Lkw im vergangenen Oktober an der Grenze zu Ungarn bei Siegendorf (Bezirk Eisenstadt-Umgebung) zwei tote Flüchtlinge gefunden worden waren, musste sich heute, Montag, in Eisenstadt vor Gericht verantworten. Ihm wurden Schlepperei und Mord vorgeworfen.
Der 19-Jährige soll die insgesamt 30 Flüchtlinge für rund acht Stunden Fahrt ohne Pause im Laderaum eingeschlossen haben.
Die Flüchtlinge hätten am 19. Oktober 2021 in einem Waldstück an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn auf den Letten gewartet, erläuterte die Staatsanwältin. Eigentlich hätten sie auf zwei Schlepperfahrzeuge aufgeteilt werden sollen, weil eines nicht auftauchte, seien aber alle zum Einsteigen in den Klein-Lkw genötigt und regelrecht „hineingeschlichtet“ worden. Die Flüchtlinge waren laut Anklage "in kauernder und gebückter Haltung teils übereinander, teils gegeneinander gedrückt" im Laderaum befördert worden.
Die Luftzufuhr war stark eingeschränkt, die Flüchtlinge hätten acht Stunden, ohne Essen und Trinken und ohne Pause, in dem Laderaum verharren müssen. Als der Transporter schließlich von Soldaten des Bundesheeres an der grünen Grenze bei Siegendorf angehalten und kontrolliert wurde, seien die Menschen aus dem Fahrzeug „herausgefallen“. Zwei von ihnen - sie stammten aus Syrien und waren 33 beziehungsweise 37 Jahre alt - überlebten nicht. Die Männer sind laut Obduktion erstickt.
"Zwei schlimme Verbrechen angeklagt"
Die Anklagen gegen den 19-jährigen früheren Pizzakoch wiegen schwer. „Es sind zwei schlimme Verbrechen, die angeklagt sind“, sagte die Staatsanwältin. Neben dem Vorwurf der Schlepperei wurde auch Mord angeklagt.
Luft für knapp zwei Stunden
„Vielleicht fragen Sie sich, wie so etwas passieren kann“, sagte die Anklägerin in Richtung der Geschworenen. „Wenn jemand ein schnelles, schmutziges Geschäft machen möchte, steigt er in die Schlepperei ein“, sagte die Staatsanwältin weiter. Der Angeklagte habe sich einer „riesigen Schlepper-Organisation“ angeschlossen.
30 Menschen waren bei der besagten Fahrt in dem Fahrzeug untergebracht. Zeugen hätten berichtet, sie seien in das Fahrzeug gepfercht gewesen „wie die Tiere“. Laut Sachverständigem habe die Luft in dem Laderaum knapp zwei Stunden gereicht.
Die Menschen im Klein-Lkw haben geschrien und geklopft, doch der Beschuldigte habe die Anweisung bekommen, weiterzufahren.
"Wusste nicht, dass die Lage so dramatisch ist"
Der Angeklagte bekannte sich zum Vorwurf der Schlepperei schuldig, zum Vorwurf des Mordes nicht. „Er wusste nicht, dass sich 30 Leute im Fahrzeug befinden“, sagte sein Verteidiger. Es gehe um die Frage: „Wusste er, dass die Lage so dramatisch ist, dass die Leute dahinten sterben?"
Sein Mandant habe jedenfalls nicht um die prekäre Lage der Menschen im Laderaum gewusst. Für einen Mord fehle der Vorsatz, meinte sein Verteidiger. Vielmehr sei es Fahrlässigkeit gewesen. „Er wusste zu keinem Zeitpunkt, dass jetzt akute Lebensgefahr ist. Er hat immer gesagt, wenn er das verstanden hätte, wäre er stehengeblieben.“
Der Beschuldigte ist nach dem Vorfall nach Lettland zurückgekehrt. „Danach hat er keine Fahrt mehr gemacht.“
"1.500 Euro erhalten"
Er sei von Bekannten in Lettland angeworben worden, gab der 19-Jährige an. Es sei ihm gesagt worden, er müsse mit dem Auto Menschen transportieren. Dass es sich um Flüchtlinge handelt, habe er gewusst, bestätigte der Angeklagte, der selbst gar keinen Führerschein besitzt.
Er habe nicht gewusst, dass die Fußschlepper 30 Personen in sein Fahrzeug gebracht hätten, dass der Laderaum dicht sei und dass die Fahrt so lange dauern werde, erklärte der 19-Jährige.
Zwischen 2.000 und 3.000 Euro hätte er für die Fahrt bekommen sollen, 1.500 Euro habe er schließlich erhalten.
"Habe größten Fehler gemacht"
„Da ist es um Menschenleben gegangen und Sie haben schon gewusst, dass es ihnen schlecht geht“, hielt ihm Richterin Gabriele Nemeskeri vor. Deshalb habe er dann auch seinen Chef angerufen und ihm gesagt, dass es eine Notsituation gebe und die Leute kaum atmen können, meinte der Angeklagte. Dieser habe ihm aber gesagt, das sei egal, er solle einfach weiterfahren. „In dem Moment habe ich meinen größten Fehler gemacht, nicht stehen zu bleiben“, sagte der 19-Jährige. Dass zwei Menschen gestorben seien, habe er erst bei seiner Festnahme erfahren.
Zeugen schildern die Fahrt
Zwei Syrer, die im Laderaum mitgefahren sind, schilderten vor Gericht die Zustände im Fahrzeug. „Wir haben schon nach etwa einer Stunde geschrien, dass es sehr eng ist, Aber keiner hat reagiert“, sagte ein Zeuge.
Alle 30 Flüchtlinge seien eingestiegen, nachdem sie zuvor drei bis vier Tage im Wald verbracht hatten. Nach drei bis vier Stunden Fahrt hätten sie bemerkt, dass „kein Sauerstoff mehr da ist“. Sie hätten auf Arabisch und Englisch geschrien, gegen die Trennscheibe zum Fahrer und gegen die Türen geschlagen und den Schlepper kontaktiert, der die Fahrt organisiert hatte. Der habe nur gesagt: „Wartet noch ein bisschen.“
„Wenn ich fünf Minuten länger im Auto geblieben wäre ohne Luft, wäre ich gestorben. Ich habe eine Aufzeichnung von meinem Leben vor meinen Augen gesehen“, erzählte ein anderer Zeuge.
Ungefähr eine Stunde, bevor sie an der österreichisch-ungarischen Grenze angehalten wurden, hätten sie die Tür aufbekommen und immer wieder Luft in den Laderaum gelassen, sie zwischendurch aber geschlossen, um nicht rauszufallen oder die Polizei auf sich aufmerksam zu machen, sagte der Zweite. Durch die rausgerissene Gummidichtung bei den Seitentüren hätten sich außerdem Luftschlitze ergeben. Die beiden Flüchtlinge, die letztlich erstickten, seien circa in der Mitte des Laderaums zwischen Trennscheibe und Tür gesessen - dort, wo am wenigsten Luft hingekommen sei.
Grenzkontrolle
Gefunden wurden die Flüchtlinge am 19. Oktober 2021 von Soldaten des Bundesheeres, die den Klein-Lkw bei der Fahrt über die grüne Grenze kontrollierten und im Laderaum zwei Leichen entdeckten. Der 19-jährige Fahrer konnte zunächst flüchten, wurde aber Mitte Dezember in seinem Heimatland Lettland festgenommen und anschließend in die Justizanstalt Eisenstadt eingeliefert. Über den Mann wurde die Untersuchungshaft verhängt.
Beeinträchtigter Gesundheitszustand
Sachverständiger Wolfgang Denk erklärt bei dem Prozess am Montag, die zwei Syrer seien noch auf ungarischem Staatsgebiet erstickt - wohl schon mehrere Stunden bevor sie gefunden wurden. Dass gerade diese beiden gestorben seien, sei auf ihre Position im Fahrzeug sowie auf ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand zurückzuführen.
Das 37-jährige Todesopfer sei untergewichtig gewesen, habe eine angeborene Trichterbrust und Bronchitis gehabt, außerdem sei bei ihm eine abgeklungene Coronainfektion festgestellt worden.
Der zweite, ein 33-Jähriger, sei ebenfalls untergewichtig gewesen und habe eine beginnende Lungenentzündung und eine Zyste im Bereich der Nieren gehabt.
Urteil nicht rechtskräftig
Nach den Schlussplädoyers am Montagabend betonte der Angeklagte, er bereue die Situation zutiefst. „Ich habe sehr viel nachgedacht über diese Situation und ich habe eines verstanden: dass ich mein Leben kaputt gemacht habe“, sagte er. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Geschworenengericht sprach ihn der Schlepperei und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang schuldig - den Vorwurf des Mordes verneinte es.
Die Aussagen des Letten seien als Geständnis gewertet worden, sagte Richterin Gabriele Nemeskeri. Der Angeklagte nahm das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab. Es ist also noch nicht rechtskräftig.