Die 4 im Jeep: Der Kulturkampf um Wien

Die 4 im Jeep: Der Kulturkampf um Wien
Eine Ausstellung im Wien Museum zeigt, wie die Alliierten Kunst und Kultur als Waffen im Kalten Krieg einsetzten.

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt einen schlanken, braun gebrannten Mann in Badehose, der auf einer Holzpritsche sitzt. Daneben zwei Fotos von jungen Frauen in Badeanzügen, die kokett in die Kamera lächeln. Darunter steht, in Blockbuchstaben: „Krapfenwaldl, Juni 1945“. Das Fotoalbum des Wieners Ferry S., Marinesoldat und NSDAP-Mitglied, macht anschaulich, dass das Leben natürlich auch in einer zerstörten und besetzten Stadt weiterging. Nichts deutet auf diesen Fotos darauf hin, dass nur zwei Monate vorher noch die Schlacht um Wien tobte.

Die von Oliver Rathkolb, Elisabeth Heimann-Leitner und Anne Wanner kuratierte Ausstellung „Kontrollierte Freiheit – Die Alliierten in Wien“ (bis 7.9.) ist der Beitrag des Wien Museums zum Gedenken an das Kriegsende vor 80 Jahren. Die Schau beschäftigt sich mit der Besatzungszeit, also den zehn Jahren zwischen 13. April 1945 (Befreiung der Stadt durch die Rote Armee) und 15. Mai 1955 (Unterzeichnung des Staatsvertrags). Das Hauptgewicht liegt auf den kulturpolitischen Aspekten, darauf, wie die Alliierten versucht haben, Kunst und Medien als Waffe einzusetzen.

Aber während sich die im Begleitbuch (Residenz Verlag, 29 €) versammelten Essays ganz auf die Kulturpolitik konzentrieren, will die Ausstellung ein breiteres Bild zeichnen. Im ersten Teil geht es um den Alltag nach dem Krieg, um Vergewaltigungen, Geschlechtskrankheiten und Ungeziefer, das mit Unmengen DDT bekämpft wurde.

Ausgebombte wurden vom Magistrat in den Wohnungen Wildfremder einquartiert („mit Küchenbenützung in Untermiete“). Lebensmittel waren streng rationiert, weshalb sich Frau Sedlak aus Währing vom Bürgermeister der Gemeinde Matzen schriftlich die Erlaubnis geben ließ, „5 Kilo Ribisel nach Wien zu bringen“.

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Wien war von 1945 bis 1955 in vier Besatzungszonen geteilt

Parallelgesellschaften

Die Besatzer bildeten Parallelgesellschaften. Sie hatten nicht nur ihre eigenen Zigaretten (in einer Vitrine liegen Päckchen der Marken Chesterfield, Lucky Strike oder Player’s), sie betrieben auch eigene Geschäfte, Sportanlagen, Kinos und Klubs, in denen Einheimische nur als Personal willkommen waren. „Aufenthalt für Österreicher streng verboten!“ steht auf einem Schild der Briten.

Entnazifizierung wurde anfangs noch großgeschrieben, NSDAP-Mitglieder wurden registriert, bestraft, mit Berufsverbot belegt. (Schon bald hat man nicht mehr so genau hingeschaut, zum Beispiel standen die regimetreuen Dirigenten Karl Böhm und Herbert von Karajan rasch wieder am Pult.) Im Künstlerhaus liefen die Ausstellungen „Naziverbrechen“ und „Niemals vergessen!“, in den Kinos Dokumentarfilme über die Konzentrationslager oder die Nürnberger Prozesse.

Alle vier Besatzungsmächte leisteten sich eigene Tageszeitungen, die Sowjets das Neue Österreich, die Amerikaner den Wiener Kurier (das mit Abstand erfolgreichste Alliiertenblatt), die Briten die Weltpresse und die Franzosen die Welt am Abend. Bei der Rundfunkgesellschaft RAVAG, aus der später der ORF wurde, hatten die Sowjets das Sagen (zu den Fixpunkten gehörte die „Russische Stunde“), während die Amerikaner für den Sender Rot-Weiß-Rot zuständig waren. In der Ausstellung wird dazu der spätere ORF-Generalintendant Teddy Podgorski zitiert. „Wenn jemand ,Radio‘ gesagt hat, war für mich der Sender Rot-Weiß-Rot gemeint. Weil der österreichische Rundfunk, damals noch RAVAG, war unerträglich.“

The show must go on: Die Wiener Bühnen nahmen den Spielbetrieb, teilweise in Ausweichquartieren, erstaunlich schnell wieder auf. Die Besatzer unterstützten die Wiedereröffnung von Burgtheater (im Ronacher) und Staatsoper (in der Volksoper), hatten darüber hinaus aber auch selbst Ambitionen.

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Die Schulbank, die in einer Ecke der Ausstellung steht, ist aus der von Frankreich 1946 gegründeten Privatschule Lycée Francais de Vienne

Kosmos und Neue Scala

Die Amerikaner etwa betrieben das Kosmos-Theater in der Siebensterngasse – wo sich heute noch bzw. wieder ein gleichnamiges Theater befindet – und zeigten bei freiem Eintritt Theaterstücke, Lesungen oder Filmabende. Auch Marcel Prawy trat dort mit musikalischen Vorträgen auf; der in die USA emigrierte Wiener Jude war als US-Kulturoffizier in seine Heimatstadt zurückgekommen und sollte später als Opernführer der Nation Karriere machen.

Die mit 1.200 Plätzen größte Alliiertenbühne war das von den Sowjets ab 1948 finanzierte Neue Theater in der Scala in der Favoritenstraße (das Haus wurde inzwischen abgerissen). Hier wurden sogar Stücke von Bertolt Brecht gespielt, die in den anderen Theatern tabu waren (der sogenannte „Brecht-Boykott“ wird in der Ausstellung nur am Rande erwähnt), hier waren erstklassige Künstlerinnen und Künstler wie Karl Paryla, Therese Giehse oder Otto Tausig engagiert, die nur leider Kommunisten waren – was dazu führte, dass ihre Auftritte in den meisten Zeitungen ignoriert wurden.

Die 4 im Jeep: Der Kulturkampf um Wien

Hollywood mobilisiert die Massen: Schlange vor dem Kreuz-Kino in der Wollzeile, 1947

Mit Plakaten, Fotos und ein paar Videos dokumentiert die Ausstellung, was die Besatzer damals alles in den Kulturkampf um Wien geworfen haben. In der Volksoper gastierte das Ballett der Pariser Oper, auf dem Rathausplatz spielte die United States Air Force Band, und hinter Schloss Schönbrunn ließen die Briten die Kavallerie, schottische Dudelsackpfeifer sowie artistische Militärmotorradfahrer einreiten.

In Sachen bildende Kunst haben sich die Franzosen besonders engagiert, im Kino waren natürlich die Amis am erfolgreichsten. Wenn ein neuer „Cowboyfilm“ anlief, standen die Wiener Schlange. Alle Besatzer betrieben Kulturinstitute und Leseräume, in denen Bücher und Zeitschriften auflagen.

Und die alte Schulbank in der Ausstellung stammt aus der 1946 gegründeten Privatschule Lycée Français de Vienne, einer der nachhaltigsten Institutionen der Besatzungszeit.

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Spuren der Besatzungszeit: Graffiti in Schloss Schönbrunn 

Was bleibt

Am Ende der Ausstellung steht eine Wand mit Fotos, auf denen die Fotografin Lisa Rastl heutige Spuren der Alliierten in Wien dokumentiert hat. Was blieb? Ein paar Gedenktafeln, ein paar Graffitis, das „Russendenkmal“ am Schwarzenbergplatz. Und eine Zeitung: Zu den Exponaten der Schau gehört auch die am 18. Oktober 1954 erschienene erste Ausgabe des KURIER, der aus dem Wiener Kurier hervorgegangen ist.

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