Dekoration trifft Kunstdiskurs: Die Fotografin Annette Kelm

Dekoration trifft Kunstdiskurs: Die Fotografin Annette Kelm
Die Kunsthalle zeigt eine Solo-Schau der Künstlerin, deren Werk Kuratoren häufig gut ins Konzept passt.

Wenn eine Künstlerin oder ein Künstler innerhalb kurzer Zeit in vielen Ausstellungen auftaucht, kann das mehrere Gründe haben: Das Werk ist genial, es trifft den Zeitgeist, eine Galerie macht ihre Arbeit gut, oder Kuratoren bzw. Sammler haben an dem betreffenden Oeuvre einen Narren gefressen.

Welche Kombination auch immer auf Annette Kelm zutrifft – die deutsche Künstlerin (*1975) ist im heimischen Ausstellungsbetrieb angesagt. Neben der Werkschau „Tomato Target“ in der Kunsthalle Wien (bis 24.3.) nehmen ihre hochgradig inszenierten Fotografien auch in der Schau „Stillleben – Eigensinn der Dinge“ im KunstHausWien (bis 17.2.) einen prominenten Platz ein. Und wenn das mumok im November eine Gruppenschau zum Thema „Skin of the Visible World“ ("Die Haut der sichtbaren Welt")* abhält, werden ebenfalls Werke von Annette Kelm an der Wand hängen.

Dekoration trifft Kunstdiskurs: Die Fotografin Annette Kelm

Fotografie? Kunst!

Muster, Stillleben, Fotografie: Die Kategorisierungen stecken das Territorium, in dem sich Kelm bewegt, schon grob ab. Die Künstlerin selbst würde sich freilich nicht als Stillleben- oder Musterfotografin bezeichnen. Was in der etwas gar weitläufig gehängten Schau der Kunsthalle im Museumsquartier auffällt, ist der unbedingte Wille zur Kunst.

Kelm macht nicht einfach Fotos, sie isoliert einzelne Motive, klopft sie auf ihre formalen und symbolischen Qualitäten hin ab und arrangiert sie in Bildern, aus denen der erzählerische und oft auch der räumliche Zusammenhang eliminiert wurde: Springfedern stehen dann in einer Reihe nebeneinander, ein Eidotter liegt neben einem Loch, eine Tomatenpflanze rankt sich über ein Gebilde, das wie eine Zielscheibe aussieht (daher der Titel „Tomato Target“).

Dekoration trifft Kunstdiskurs: Die Fotografin Annette Kelm

Die Elemente in Kelms Bildern erscheinen, als hätte man sie bei der Flucht in die Abstraktion auf halbem Weg ertappt – die Bildelemente wirken weniger wie Dinge als vielmehr wie Wörter oder Buchstaben, wobei sich Syntax und Grammatik nicht ganz klar erschließen.

Wenn Kelm selbst über ihre Bilder spricht, wird klar, dass sich die Arrangements doch auch dem Zufall und spontanen Ideen verdanken – Sprungfedern verwendet die Künstlerin etwa deshalb, weil sich ihr Atelier am Gelände einer Fabrik befindet, die solche Federn einst herstellte.

Dennoch bleibt der künstlerische Akt hochgradig reflektiert und abstrahiert, was wohl auch ein Grund dafür ist, dass Kelms Kunst sprachlich gefassten kuratorischen Denkmustern entgegenkommt. Wie bei Louise Lawler, deren Werke die „Sammlung Verbund“ gerade zeigt (bis 20.4.), ist auch bei Kelm die Gefahr, ins rein Akademische abzugleiten, nie weit. Die doch recht persönlichen Arrangement-Entscheidungen und der lustvolle Umgang mit Form und Farbe verhindern gerade noch, dass die Bilder vornüber kippen. Doch am Ende spiegeln die Werke die Eigendynamik jenes Betriebs, der künstlerische Fotografie heute definiert, mindestens ebenso wider wie die Intentionen und Ideen der Künstlerin.

* Erratum: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Annette Kelm irrtümlich als Mitwirkende der Schau "Pattern und Decoration" im Wiener mumok genannt (23.2. - 8.9. 2019). Tatsächlich zeigt das Museum Kelm 2019 im Rahmen der Schau "Skin of the Visible World" (16.11. 2019 -13.4. 2020).

Kommentare