Wir wurden für Verrückte gehalten

Wir wurden für Verrückte gehalten
Architekt Stefano Boeri pflanzte einen zwei Hektar großen Wald auf Balkone von Hochhäusern. Ein Gespräch über Öko-Architektur und neue Ideen.

Zwei schwarze Türme stechen mit ihrem üppigen Grün inmitten der Betonwüste Mailands sofort ins Auge: Auf den Balkonen wuchern 800 Bäume und 20.000 Sträucher in die Höhe. Die Idee für das Projekt "Bosco Verticale" – eine in die Höhe ragende grüne Oase inmitten einer der dicht besiedelten Großstädte Europas – stammt von Stefano Boeri. Der Mailänder Architekt gilt in Italien als Vorreiter nachhaltiger Architektur. Mit IMMO spricht Boeri über "grüne" Öko-Architektur, neue Projekte und Hundertwassers Ideen.

Wir wurden für Verrückte gehalten
Sie hielten kürzlich in Wien einen Vortrag über das Scheitern in der Architektur – aber beginnen wir mit etwas Positivem: Auf welche Projekte sind Sie besonders stolz?Auf das in Mailand realisierte Projekt "Bosco Verticale". Grün wohnen erhält dadurch eine neue Definition. Ich ließ mich dabei von Friedensreich Hundertwasser inspirieren. Mich hat das Zusammenspiel von Bäumen und Architektur in der Stadt schon lange fasziniert. Gelungen finde ich auch die "Villa Méditerranée", das Kulturzentrum, das anlässlich der EU-Kulturhauptstadt 2013 in Marseille entstanden ist.

Gab es im Vorfeld Kritik für das Projekt "Bosco Verticale"? Natürlich gab es Misstrauen und Angst vor etwas Neuem. Wir wurden anfangs für größenwahnsinnige Verrückte gehalten, als wir einen zwei Hektar großen Wald auf Balkone von Hochhäusern pflanzen wollten. Wir waren aber von der Bio-Architektur und dem Zusammenleben von Menschen und Pflanzen überzeugt. Es gab auch Bedenken, dass die Bewässerung und Bepflanzung technisch nicht durchführbar wäre.

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Die ersten Bewohner sind vor wenigen Monaten eingezogen. Können sich das Privileg – bei Wohnungspreisen ab einer Million Euro – nur Reiche leisten?Die Quadratmeter-Preise bewegen sich zwischen 5000 und 12.000 Euro. Es kommt auf die Lage an, auf die Größe und in welchem Stockwerk das Apartment liegt. Die Bewohner fühlen sich sehr wohl. Selbst im 28. Stock kann man den Balkon nützen. Normalerweise ist das nicht möglich. Aber die Bäume geben Schutz und es entsteht ein Gefühl der Geborgenheit. Der "Bosco Verticale" ist außerdem sehr energieeffizient. Auf 500 Quadratmetern wurden Solarzellen installiert, Windräder aufgestellt und geothermische Sonden platziert. Ein großer Teil des Stromverbrauches kann dadurch gedeckt werden.

Gibt es weitere Projekte, bei denen Nachhaltigkeit und Öko-Architektur im Vordergrund stehen werden? Wir planen gerade ein nachhaltiges Viertel in China, in Chongqing, der größten Stadt der Welt. Auf einem Hügel soll ein Öko-Dorf entstehen mit Wohnungen, Geschäften, Spielplätzen. In fünf Monaten wird mit dem Bau begonnen.

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Als weiteres Erfolgsprojekt erwähnten Sie zu Beginn das Kulturzentrum "Villa Méditerranée" in Marseille. Was ist dabei besonders gelungen?Es gibt Ähnlichkeiten zu Bosco Verticale. Nur ist es bei dem Projekt in Marseille eine Symbiose aus Architektur und Meer. Das Meer dringt förmlich in das Gebäude ein. Heute ist dort ein Dialog- und Kongresszentrum für Mittelmeerländer untergebracht, was mich sehr freut.
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Kommen wir zum Scheitern. Sie hielten im Radiokulturhaus einen Vortrag über das niemals fertiggestellte Kongresszentrum "La Maddalena" auf Sardinien. Das 300 Millionen Euro schwere Mammutprojekt für den G8-Gipfel 2009 wurde kurz vor der Fertigstellung von Ex-Premier Berlusconi blockiert. Was würden Sie sich wünschen, dass mit dem Bau passiert? Der Grund auf dem das Kongresszentrum heute steht, wurde früher militärisch genutzt. Es ist dringend nötig, dass das Areal und der Meeresboden gereinigt werden. Aber nach sechs Jahren ist nichts geschehen. Die Baufirma hat das Geld zwar kassiert, aber nicht gearbeitet.

Im Mai wird die Expo in Mailand eröffnet. Sie haben Richtlinien für den Masterplan der Weltausstellung entwickelt. Dieser wurde nun von der Stadt Mailand verworfen oder zumindest stark geändert. Was ist passiert? Wir haben einen Landwirtschaftspark mit vorwiegend temporären Bauten geplant. Das Areal sollte nach der Expo in Ackerland verwandelt und weiter genutzt werden. Nun hat sich alles in Richtung permanenter Gebäude verschoben. Aus unserem Nachnutzungskonzept wird wohl nichts werden.

Hatten Sie bei Ihrem Wien Besuch auch Zeit, aktuelle Projekte zu besichtigen? Ich bin öfter zu Besuch im Architekturzentrum. Wie bereits erwähnt ließ ich mich gerne von Hundertwasser inspirieren und aktuell verfolge ich sehr genau die Arbeiten des österreichischen Büros "Alleswirdgut".

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Wie wird sich gute Architektur in den nächsten Jahren entwickeln?Es muss mehr Rücksicht auf Biodiversität genommen werden. Wir müssen aufhören, die Städte weiter auszudehnen und noch mehr Natur zu zerstören. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Immer mehr Leute können sich das Wohnen in den Städten nicht mehr leisten. Das ist ein weltweites Problem. Als dritter Punkt werden erneuerbare Energien zur Energieversorgung wie etwa Solar- und Windenergie immer wichtiger.

Stefano Boeri gründete das gleichnamige Architekturbüro gemeinsam mit seinem Partner Michele Brunello in Mailand. Sechzehn Architekten und Architektinnen aus aller Welt zählen zum Kernteam. 2014 wurde das Studio für sein nachhaltiges Hochhäuser-Projekt „Bosco Verticale“ mit dem Internationalen Hochhauspreis prämiert. Gemeinsam mit internationalen Experten entwarf Boeri Richtlinien für einen Masterplan zur Expo 2015 in Mailand. Boeri war vergangene Woche in Wien zu Gast mit einem Vortrag zum Thema „Architecture Fiasco“.
www.stefanoboeriarchitetti.net

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