Eine Austro-Chefin für die Finnen

Eine Frau mit langen braunen Haaren blickt überrascht zur Seite.
Marianne Goebl ist die neue Geschäftsführerin des finnischen Möbelherstellers Artek. Im Interview verrät sie, wie es dazu kam und warum Underdog-Länder die interessanteren sind.

Ihre Karriere führte Sie vom Schweizer Möbelhersteller Vitra zur Design Miami und nun sind Sie bei Artek gelandet. Wie kam es dazu?

Bei Vitra habe ich mich Gestaltungsprozessen gewidmet, wie der Entstehung der Home Collection und dem Vitra Haus. Nach neun Jahren war es an der Zeit, etwas Neues zu entdecken und ich bekam die Möglichkeit die Design Miami zu leiten. Dies war auch ein Perspektivenwechsel. Ich musste in die Rolle des Vermittlers schlüpfen. Nach drei Jahren in Miami wollte ich wieder nach Europa. Meine Vorgängerin Mirkku Kullberg wechselte zu Vitra, ihr Posten wurde frei und mir angeboten. Ich würde sagen, es hat sich alles hat ganz gut ergeben.

Seit Juli sind Sie Geschäftsführerin. Was reizt Sie an der neuen Position?

Die spannende Geschichte des Unternehmens und die Tatsache, dass Artek vor Kurzem von Vitra übernommen wurde und dennoch als unabhängige Marke weitergeführt werden soll. Artek ist nicht nur dazu da, das Portfolio von Vitra zu ergänzen.

Sondern?

Für Vitra ist Artek ein Projekt, dem man eine große Wertschätzung entgegenbringt. Mein Auftrag ist es, das Unternehmen unabhängig zu halten und gemeinsame Schnittstellen zu finden.

Eine Frau sitzt in einem Sessel der Marke Artek in einem hellen Raum.
Marianne Göbl, Geschäftsführerin des finnischen Möbelunternehmens Artek, im Geschäft Vitra am Schottenring in Wien am 15.08.2014
Worauf freuen Sie sich am meisten?

Dass wir neue Produkte entwickeln werden. Die zentrale Überlegung wird dabei lauten: Was ist Artek 2014 plus? Die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Designern und auch der Blick ins Archiv werden dabei im Vordergrund stehen. Des Weiteren möchte ich die Internationalisierung von Artek als finnisches Nationalgut vorantreiben.

Wie geht man als Außenstehende mit nationalem Kulturgut am besten um?

Mit Respekt. Es ist etwas anderes, wenn ich etwas für eine Firma aus dem deutschsprachigen Raum arbeiten würde. Da kann man sich schon aufgrund der Sprache in die Kultur leichter einfühlen. In Finnland steht Artek für weit mehr als nur Möbel.

Wofür steht Artek außerdem?

Es wurde 1935 gegründet und als Ort definiert, wo Möbel produziert und neue Ideen für das Wohnen vermittelt werden. Finnland war bis 1917 unter russischer Herrschaft. Bei der Gründung war also der kulturelle Nährboden relativ dünn. Es ist interessant, dass sich die Gründer gerade zu dieser Zeit dazu entschlossen haben, das Unternehmen zu gründen. Ihre Mission war es, Finnland und deren Vision des Wohnens in die Welt zu tragen. Sie haben sich als Propagandaplattform verstanden. Diese Wortwahl finde ich interessant, weil sie einen Bezug zur Geschichte des Landes hat. Es ist zwar ein negativ besetztes Wort, aber wenn man es aus dem politischen Kontext herauslöst, ergibt es eine schöne Verbindung.

Wie wichtig ist Ihnen die Verbindung von Kunst und Design?

Eine Frau mit langen braunen Haaren gestikuliert mit der Hand.
Marianne Göbl, Geschäftsführerin des finnischen Möbelunternehmens Artek, im Geschäft Vitra am Schottenring in Wien am 15.08.2014
Sehr, da Artek schon immer an der Schnittstelle von Design, Kunst und Architektur agiert hat. Es sind unterschiedliche Disziplinen. Ein Künstler geht eine Aufgabe anders an als ein Designer. Ich habe keine Berührungsängste, aber man muss wissen, was man von wem möchte. Ich würde keinen Künstler bitten, einen komplexen Stuhl zu entwerfen.

Birgt die Firmengeschichte irgendwelche Überraschungen?

Die Werke von Ilmari Tapiovaara und die Tatsache, dass sein Domus-Stuhl in den 1950er-Jahren ein Exportschlager war.

Alvar Aalto ist das Aushängeschild des Unternehmens. Welchen Stellenwert haben solche Galionsfiguren heute?

Finnland hat viel durch ihn gewonnen, er war einer der Identifikationsfiguren nach der Unabhängigkeit. Er hat auch international viele Spuren hinterlassen. Ende September widmet ihm das Vitra Design Museum eine Ausstellung. Vor allem seine internationaler Einfluss als Architekt soll beleuchtet werden.

Ein Vergleich mit Österreich: Welchen Stellenwert hat Wohnkultur etwa in Wien?

In Finnland kennt jeder Taxifahrer Artek, hier sieht das anders aus. In Österreich findet Wohnkultur auf einer anderen Ebene statt. Sie wird weniger als Alltagskultur, sondern eher als Bedarfsdeckung wahrgenommen. In Miami wiederum ist es selbstverständlich, dass ein Inneneinrichter oder Dekorateur engagiert wird, um die Wohnung einzurichten. Der Zugang zum Experten ist ein ganz anderer. In Europa hingegen lebt der Gedanke des Erbens. In der britischen TV-Serie Downton Abbey hat es dazu eine passende Szene gegeben. Bei der Besichtigung ihres künftigen Wohnsitzes meinte Mary zu ihrem amerikanischen Verlobten: "Deine Leute kaufen Möbel, bei uns erbt man." Eine sehr interessante Aussage, die diesen Unterschied eigentlich sehr gut beschreibt.

Was nehmen Sie aus Österreich mit?

Österreich und vor allem Wien stehen für mich für eine vielschichtige Kultur. Es ist eine Art Melting Pot. Hier wurden meine Sehgewohnheiten geprägt, und was Stadt für mich bedeutet. Wien fühlt sich weltstädtisch an. Durch und mit Wien habe ich die Moderne kennengelernt.

Gibt es Parallelen zwischen den Ländern?

Eine Frau gestikuliert während eines Gesprächs in einem hellen Raum.
Marianne Göbl, Geschäftsführerin des finnischen Möbelunternehmens Artek, im Geschäft Vitra am Schottenring in Wien am 15.08.2014
Finnland ist ein Underdog und Österreich auch. Beide Länder sind von außen positiv besetzt, aber meist bleibt es beim freundlichen Interesse. Schade, denn in Underdog-Ländern finden spannendere Geschichten statt.

Was macht gutes Design aus?

Für mich ist es eine Kombination aus Funktion und Freude. Es auf eine reine Bedarfsdeckung zu reduzieren, ist zu wenig.

Ihr liebstes Artek-Stück?

Der Hocker "Stool 60" und auch der "Tea Trolley" verkörpern für mich den nordischen Gedanken des Wohnens und haben eine starke Ausstrahlung.

Ein Sessel mit gelbem Sitz und Rückenlehne sowie einem hellen, hohen Kopfteil.
Die Mission? Möbel produzieren und verkaufen, um die Idee der modernen Wohnkultur zu fördern. Es war ein durchaus idealistischer Plan der vier Artek-Gründungsmitglieder. Doch er ist aufgegangen. Das berühmteste Mitglied ist der Architekt Alvar Aalto, der gemeinsam mit seiner Frau Aino zahlreiche bedeutende Produkte der Designgeschichte entworfen hat. Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Nils-Gustav Hahl und Kunstliebhaberin Maire Gullichsen bildeten beide auch eine perfekte inhaltliche Verbindung zwischen Kunst und Design. Das Erbe von Alvar Aaltos ist nach wie vor eine wichtige Stütze des Unternehmens. Zu seinen berühmtesten Entwürfen zählen der Hocker „Stool“ oder etwa der Sessel „401“.
Ein moderner Sessel mit rotem Lederbezug und weißem Fuß.
Die Formensprache ist konsequent und typisch nordisch: zeitlos, ästhetisch, natürlich und funktional. Dem Anspruch von heute wird das Unternehmen mithilfe talentierter Designgrößen, wie etwa Konstantin Grcic, gerecht. Er präsentierte heuer mit dem „Rival Task Chair“ eine moderne Interpretation nordischen Designs.

Arteks Verständnis von Möbelsystemen baut auf den Idealen von Standards und Systemen auf, wie sie ihren Ursprung in Alvar Aaltos L-System haben. Heute kombiniert man die radikalen Ideale der Gründer mit modernen, dynamischen Ansätzen. Das Sortiment besteht aus Möbeln und Leuchten. Noch immer unterhält das Unternehmen enge Kontakte zur Aaalto-Familie und der Foundation. www.artek.fi

Kommentare