Wiener Forschung: Auch Steinzeit-Menschen trugen bereits Modeschmuck

Wiener Forschung: Auch Steinzeit-Menschen trugen bereits Modeschmuck
Löcher in 45.000 Jahre alten Meeresschnecken-Gehäusen entstanden nicht auf natürliche Weise.

Wie lässt sich beweisen, ob Schneckenhäuschen aus der Steinzeit von der Natur oder vom Menschen durchlöchert wurden? Diese Frage stellte sich Marjolein Bosch vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften angesichts der Entdeckung von mehreren 100 Fundstücken aus dem Libanon.

Der archäologische Fundplatz Ksâr 'Akil in der Nähe von Beirut mit steinzeitlichen Besiedlungsschichten wird seit rund 100 Jahren erforscht. Archäologen entdeckten im Boden unter einem riesigen Felsüberhang (Abri) zahlreiche Steinwerkzeuge und Gehäuse von Meeresschnecken. Letztere sind rund 45.000 Jahre alt und wurden als Überreste von Schmuck gedeutet, wissenschaftliche Belege dafür fehlten bisher aber. Ihre Erkenntnisse wurden nun im Fachjournal Journal of Archaeological Science veröffentlicht.

Computertomografie

Bosch und ihre Kollegen untersuchten zunächst unversehrte Gehäuse mit Hilfe von Mikro-CT-Scans auf robuste und zerbrechliche Zonen. "Im Anschluss haben wir 3D-Modelle angefertigt, die die genaue Struktur der verschiedenen bis zu zwei Zentimeter großen Gehäuse zeigten, also wo diese dünner oder dicker waren", so Bosch in einer Aussendung der ÖAW.

Ausgehend davon konnte sie erfassen, an welchen Stellen sich bei den Schneckenhäusern aus Teneriffa und jenen aus dem archäologischen Fund Löcher befanden. "Bei den von mir gesammelten Gehäusen vom Strand trat die überwiegende Mehrheit der Perforationen in strukturschwachen Zonen auf", so Bosch. Bei den archäologischen Funden lagen die Löcher dagegen häufiger in robusteren Zonen. Zudem waren Größe und Form der Perforationen einheitlicher als bei den gesammelten Gehäusen.

Scharfe Werkzeuge

"Aus der Form der Löcher und der Beschaffenheit der Lochränder schließen wir, dass sie mit einer indirekten Schlagtechnik hergestellt wurden", erklärte Bosch gegenüber der APA. Dazu werde ein scharfes Werkzeug, etwa eine Knochen- oder Steinwerkzeugspitze, auf das Gehäuse gesetzt und dann mit einem Stein darauf geschlagen.

Die Archäozoologin zieht daher in ihrer im Journal of Archeological Science veröffentlichten Arbeit den Schluss, dass die Gehäuse der Meeresschnecken einerseits bewusst ausgewählt und andererseits im Zuge eines geplanten Herstellungsprozesses perforiert wurden. "Diese Meeresschnecken sind zu klein, um sie zu essen, sie wurden also aus anderen Gründen gesammelt und an die Fundstelle gebracht", so Bosch.

Standardisierte Herstellung

Größe und Verteilung der Löcher sind für sie "Beweise für einen standardisierten Herstellungsprozess". So sei die bevorzugte Stelle für Löcher auf der Rückenseite des Gehäuses "ideal für die Aufhängung, und zwar wegen ihrer Position im Verhältnis zur natürlichen Öffnung der Schale. Man könnte leicht eine Schnur durch diese Öffnung und dann durch das Loch führen und sie entweder als Halskette aufhängen oder sie an Kleidungsstücke binden", sagte die Expertin.

Die Gehäuse der Meeresschnecken dürften also eine symbolisierte Bedeutung gehabt haben, die von vielen Menschen verstanden wurde - eine Art gemeinsame Sprache, meint Bosch. Als Halskette getragen oder an der Kleidung befestigt könnten sie die Zugehörigkeit zu Gruppen signalisiert haben. "Man zeigt mit Schmuck an, woher man kommt und wohin man gehört."

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