Wie Forscher jetzt die Geheimnisse der berühmtesten Krone der Welt lüften

Ihr Alter? Unbekannt! Wer sie als erster trug? Ein Geheimnis! Der Ursprung von Gold und Edelsteinen? Ungewiss! Wer sie schuf? Ein Mysterium!
Rund um die berühmteste Krone der Welt, die Reichskrone, ranken sich mehr Fragen als Antworten. Dieser Tage kommt noch eine weitere hinzu: Warum ist die Vitrine in der Wiener Schatzkammer, in der das Kleinod normalerweise ausgestellt wird, verwaist? „Die leere Vitrine zeigt, dass wir gerade an einem großen Forschungsprojekt arbeiten“, erklärt Franz Kirchweger, Projektleiter und Kurator der Kunst- und Schatzkammer im Kunsthistorischen Museum Wien, und deutet auf das Nichts hinter Glas.
Gleich daneben läuft ein Video, das die Besucher über die aktuelle Hightech-Forschung aufklärt, die seit einem Jahr läuft: „Die Reichskrone, Symbol der Macht der Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, wird untersucht. Dazu war es notwendig, sie den Besuchern für ein paar Monate zu entziehen.“

Die einzig erhaltene Krone des Heiligen Römischen Reichs
172 Steine finden sich insgesamt auf Kronreif, Stirnkreuz und Kronbügel der Reichskrone.
71 davon sind Saphire, 50 Granate, 20 Smaragde, 13 Amethyste, 4 Chalcedone, 3 Spinelle und 11 verschieden gefärbte Gläser. Dazu kommen Hunderte Süß- und Salzwasserperlen.
Bisher waren weder die Goldlegierungen noch alle Steine auf der einzig erhaltenen Krone des Heiligen Römischen Reichs naturwissenschaftliche untersucht worden. Bisher, denn seit einem Jahr tun die Forscher im KHM – in Kooperation mit international führenden Experten aus Berlin, München und Paris – genau das – den Ursprüngen und Geheimnissen der legendären Krone nachspüren.
Das weckt auch international Interesse. Zur heutigen Pressekonferenz haben sich deutsche, französische, japanische Medien angemeldet ...
Ihr aktuelle Standort bleibt aus Sicherheitsgründen ein Geheimnis. Nur so viel: Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird die Krone wahrscheinlich gerade mit dem 3-D-Mikroskop untersucht.

Mithilfe des 3D-Digitalmikroskops wird jedes Detail sichtbar
„Das Hauptaugenmerk liegt auf den Edelsteinen und ihren Fassungen“, sagt die Leiterin des Naturwissenschaftlichen Labors des KHM, Martina Griesser. Und kann bereits eine verblüffende Erkenntnis verkünden: „Ein Team von Edelstein-Experten der Universität Wien hat entdeckt, dass ein roter Stein in der Mitte der Krone wärmebehandelt worden sein muss.“ Die Untersuchungen ergaben, dass er Temperaturen von nahezu 1000 °C ausgesetzt war. „Heute wird diese Technik angewandt, um die Farbe zu vertiefen. Es ist aber nicht bekannt, ob die frühmittelalterlichen Goldschmiede damals bereits die Technik der Farbintensivierung kannten, oder ob es ein Unfall war und der Stein zufällig mit Hitze in Berührung gekommen ist und dadurch seine Farbigkeit entwickelt hat.“

Der große - erhitzte - Spinell im Zentrum der Stirnplatte
Die Expertin weiter: „Wir versuchen, möglichst viel über die Materialien herauszufinden – egal, ob es das Gold, das Email, die Edelsteine, Perlen oder das Textil der Haube ist“. Kirchweger schwärmt unterdessen von 2.500-facher Vergrößerung, die jedes Detail offenbart. „Das ist Neuland, das wir hier betreten.“ Ja, seit 250 Jahren werde bereits an der Krone geforscht, aber vieles an ihr sei höchst umstritten. Etwa, wann sie entstanden ist. Kirchweger: „Die Mutmaßungen reichen von 950 bis 1150 nach Christus.“ Die Quellen seien rar, keine Werkstatt, kein Künstler, kein Auftraggeber wird erwähnt.
Die versteckten Geheimnisse der Reichskrone
Wer sie als erster getragen hat, kann er ebenfalls nicht sagen. „Wir hoffen im Laufe des Projektes darauf Antworten zu finden. In den 200 Jahren, über die als Entstehungsdatum diskutiert wird, sind viele Herrscher als erste Träger denkbar.“ Vielleicht Otto I. oder doch Konrad II.?
Karl der Große trug sie nie
Einer hat sie gewiss nie getragen – der legendäre Karl der Große. Kirchweger: „Wenn von der Reichskrone die Rede ist, fällt unwillkürlich auch sein Name. Er ist der Gründervater des Heiligen römischen Reiches und wurde im Jahr 800 als erster mittelalterlicher Herrscher in Rom zum Kaiser gekrönt und hat so eine Tradition begründet, die bis 1806 bestanden hat“.
Gesichert sei, dass die Krone ab 1442 (bei der Krönung des Habsburgers Friedrich III. in Aachen) bis zur letzten Krönung 1792 (wieder ein Habsburger, Kaiser Franz II. nämlich) immer verwendet wurde.
Leider haben wir bisher keine Idee, wann und wo sie entstanden ist, auch wer sie geschaffen hat, liegt im Dunkel.
Projektleiter "The Crown"
Kirchweger mutmaßt, dass sie in der Werkstätte einer großen Bischofskirche entstanden sein könnte. „Im Laufe der Jahrhunderte wurde über die Insel Reichenau als Entstehungsort spekuliert, oder über Köln, Trier, Lothringen, Mailand, Sizilien, sogar Byzanz war schon im Rennen. Hier hoffen wir, Eingrenzungen vornehmen zu können.“
In den beiden kommenden Jahren (so lange läuft das Forschungsprojekt noch) wollen die Wissenschafter also, das eine oder andere Rätsel lösen. Eine Überraschung haben sie bereits erlebt: Zwei bisher unbekannte antike Steine mit Reliefs – sogenannten Gemmen – hatten sich unter der Haube versteckt. Aus der Zeit um Christi Geburt entpuppten sie sich als die ältesten Teile der Reichskrone.

Eine der bisher unbekannten antiken Gemmen
Wer sich jetzt gerne selbst ein Bild über die neuen Erkenntnisse machen möchte und die unbekannten Steine in Augenschein nehmen möchte, muss warten, bis die Reichskrone in der Schatzkammer zurück ist: „ Vor dem Sommer“, verspricht Kirchweger.
Info: www.projekt-reichskrone.at
Die Reichskrone war die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und ist bis heute die bedeutendste europäische Krone. Keine andere entfaltete eine so große Wirkung und Symbolkraft. Als Insignie des Heiligen Römischen Reiches ist sie Teil der europäischen und österreichischen Geschichte.
Etwa 800 Jahre lang war sie der Inbegriff des Reiches, das sich um 1000 aus dem Ostfrankenreich herausbildete und große Teile des heutigen Deutschlands, der Niederlande, Belgiens, Ostfrankreichs, Burgunds, der Schweiz, Österreichs sowie Italiens umfasste. So gesehen ist sie eine europäische Krone.
Die Reichskrone war bei den Königskrönungen in Aachen unentbehrlich, weil in der Vorstellungswelt des Mittelalters erst sie ihren Träger zum Herrscher machte. Krone und Reich bildeten eine untrennbare Einheit.
Wegen ihrer großen politischen Bedeutung war die Reichskrone immer wieder ein begehrtes Objekt für Erpressung, Raub, Betrug und Geschäftemacherei. Machthaber und Gegenkönige versuchten, in den Besitz des Herrschaftssymbols zu kommen, weshalb sie oft in Sicherheit gebracht werden musste, bis sie schließlich in Wien eine sichere Heimstatt fand.
Die Reichskrone verlor erst mit dem Ende des Heiligen Römischen Reichs ihre Funktion: 1806 forderte Napoleon Kaiser Franz II. auf, die Reichskrone niederzulegen. Dieser gehorchte und erklärte gleichzeitig das Heilige Römische Reich für aufgelöst, damit kein anderer Fürst Anspruch auf die Reichskrone erheben konnte.
Nichts blieb vom einst mächtigen Reich übrig, außer diese Insignie, die im Jahre 1827 erstmals öffentlich in der Weltlichen Schatzkammer Wien gezeigt wurde.
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