Zur Person
1899 in Oberschlesien geboren, wurde Ludwig Guttmann kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs Volontär im Krankenhaus Königshütte. Als ein Minenarbeiter mit einer Rückenverletzung eingeliefert wurde und der junge Freiwillige Notizen zum Patienten machen wollte, wurde ihm gesagt: „Nicht um den Verletzten kümmern, der wird in wenigen Wochen sterben.“ Gut einem Monat später war der junge Mann tatsächlich tot – qualvoll verstorben an Nierenversagen und Wundfieber.
Dieses Erlebnis ließ Guttmann nie mehr los. Ein Jahr später begann er ein Medizinstudium in Breslau, 1923 promovierte er und wurde schließlich Oberarzt in Hamburg. Viele prophezeiten dem jungen jüdischen Arzt eine große Karriere. Als die Nazis kamen, bekam er statt dessen Kündigung und Berufsverbot. Stellenangebote aus dem Ausland schlug er aus, weil er meinte, der Spuk werde bald vorbei sein. 1934 übernahm er die Leitung einer eigens für ihn eingerichteten Poliklinik im Israelitischen Krankenhaus der Stadt. Dort durfte er als Jude weiterhin arbeiten.
Retter von vielen
Als am 9. November 1938 die Synagoge in Brand gesteckt wurde und Schutzsuchende vor dem Krankenhaus auftauchten, wies der Neurologe seine Mitarbeiter an, niemanden wegzuschicken. Weil die Gestapo auftauchte, hatte das Spital plötzlich 63 neue „Patienten“ mit falschen Diagnosen, die Symptome vortäuschten. Fast alle konnten gerettet werden. Zwei von ihnen kamen genauso wie zwei Ärzte ins Konzentrationslager.
Guttmann erkannte, dass er Deutschland verlassen musste. Mit Frau und zwei Kindern, aber ohne einen Pfennig Geld, gelang die Flucht nach Großbritannien, wo er eine Stelle als Neurochirurg in Oxford antrat.
Revolutionäre Methoden
Als die Alliierten die Landung in der Normandie planten und sich auf viele zusätzliche Patienten einstellten, wurde Guttmann die Leitung einer neuen neurologischen Klinik in Stoke Mandeville angeboten. Noch immer galt die Behandlung gelähmter Patienten als hoffnungslos; Guttmann nahm trotzdem an – zum Unverständnis seiner Freunde und Kollegen in Oxford. Sportwissenschafter Abel: „Querschnittslähmung war meist ein Todesurteil, doch die Methoden, die Guttmann erfunden hat, haben das komplett verändert“. Dass Alexander Fleming das Penicillin entdeckt hat, half ebenfalls. Damit konnte man endlich das Wundliegen und die aufsteigenden Harnwegsinfekte behandeln, die Gelähmten bisher so zugesetzt hatten.
Autoritär und verehrt
Der Mediziner krempelte also alles um: Gegen heftigen Widerstand schaffte er Gipsbetten und metallene Bettpfannen ab, weil beides zu Druckgeschwüren führte. Von nun an seien Patienten alle zwei Stunden zu wenden, die Bettpfannen waren jetzt aus Gummi.
Guttmann führte ein strenges Regiment und kontrollierte zu den unmöglichsten Zeiten, ob seine Anweisungen befolgt wurden. „Er war sehr autoritär, aber er war auch voller Menschlichkeit“, charakterisierte Tochter Eva ihren Vater einmal. Die jungen Soldaten, die schwer verletzt aus dem Krieg kamen, verehrten ihn ohnedies und er packte sie bei ihrem Kampfgeist: Wettkämpfe sollten sie motivieren, gesund zu werden. Bei der Eröffnung seiner ersten Spiele von Stoke Mandeville 1948 traten 16 Leute gegeneinander an und er beschloss: „Wir machen das zeitgleich mit den Olympischen Spielen in London.“ Der Grundstein für die Paralympics war gelegt.
1966 schlug die Queen den jüdisch-deutschen Arzt zum Ritter. „Guttmann war eine herausragende Persönlichkeit im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung – visionär auf vielen Ebenen, hat er die Behandlung von Menschen mit Rückenmarkserkrankungen revolutioniert“, sagt Sportmediziner Abel. Guttmann selbst drückte es bescheidener aus: „Wenn ich jemals etwas Gutes getan habe, dann war es, Sport in die Rehabilitationsprogramme von Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen einzuführen.“
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