OxyContin-Skandal: Wie die Pharmaindustrie mit Schmerz Geschäfte machte

OxyContin-Skandal: Wie die Pharmaindustrie mit Schmerz Geschäfte machte
Die Netflix-Serie „Painkiller“ schockiert mit Einblicken in das Pillen-Business. Was die Branche gelernt hat, wo es Aufholbedarf gibt.

„Das gesamte menschliche Verhalten basiert im Grunde auf zwei Dingen, der Flucht vor dem Schmerz hin zur Freude. Schmerz. Freude. Schmerz. Freude“, sagt Richard Sackler, CEO bei „Purdue-Pharma“ (gespielt von Matthew Broderick), im Teaser zur Netflix-Serie „Painkiller“. Sie thematisiert die Ursachen der Opioidkrise in den USA, auch Angehörige verstorbener Opfer kommen zu Wort.

Ein Mix aus Fakten und Fiktion, basierend u. a. auf den Recherchen des Journalisten Patrick Radden Keefe, der in „Imperium der Schmerzen“ das abschreckende Bild der Sackler-Dynastie zeichnet. Ihr Vermögen entstand durch die Vermarktung des Beruhigungsmittels „Valium“ und mündete in der Erfindung des Schmerzmittels „OxyContin“.

OxyContin-Skandal: Wie die Pharmaindustrie mit Schmerz Geschäfte machte

Patrick Radden Keefe schrieb "Imperium der Schmerzen"

Das Medikament machte Millionen Menschen süchtig, weil es leichtfertig verschrieben und mit aggressiven Strategien vermarktet wurde. Die Ärzte wurden mit Einladungen, und Profitversprechen umgarnt, basierend auf falschen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

„Es handelt sich um einen der größten Pharma-Skandale seit Contergan. Das Mittel wurde selbst bei moderaten Schmerzen freizügig verschrieben“, sagt Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien und Autor des Buchs „Sucht“. Man gab es nach einer Zahnextraktion ebenso wie bei Hexenschuss. Nicht nur „Purdue“, sondern auch anderen Herstellern wurde eine Mitschuld an der Opioidkrise vorgeworfen, es kam zu millionenschweren Vergleichen.

Subtiles Buhlen

Wer „Painkiller“ sieht, staunt, wie sich Mediziner mit Geld und Gelagen ködern ließen. Auch wenn manches überzeichnet wird, stellt sich die Frage ist: Was hat man daraus gelernt?

OxyContin-Skandal: Wie die Pharmaindustrie mit Schmerz Geschäfte machte

Matthew Broderick als Richard Sackler.

Das Thema Ethik wird ernst genommen, die Pharmabranche bemüht sich um Imagekorrektur. Das bestätigt Andrea Fried, Leiterin der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen bei „Transparency Austria“: „Es hat sich vieles verbessert, aber nicht immer freiwillig. Die Pharmaindustrie hat strenge Compliancevorgaben, es gibt Antikorruptionsgesetze.

Dennoch sollte man nicht vergessen, dass die Branche sehr gewinnorientiert ist.“ Der Markt sei sensibel, weil es um Berufsgruppen geht, denen Menschen ihr Vertrauen schenken. „Wenn mir mein Arzt sagt, ich könne ein Präparat bedenkenlos nehmen, dann glaube ich das, vielleicht lese ich im Beipacktext nach, mehr nicht. Damit wird spekuliert, daher ist Manipulation ein Thema. Um die Gunst des Arztes wird subtiler denn je gebuhlt.“

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Kritiker orten darin eher eine Marketingmaßnahme, während die Industrie diese Zusammenarbeit als „natürliche Symbiose“ bezeichnet. Verflechtungen seien Natur der Sache, ohne Industrie kaum Möglichkeiten, Forschung zu betreiben.

Medikamentenentwicklung ist teuer und ein großes Risiko. „Nur eine von 10.000 Anfangssubstanzen schafft es zur Marktreife, das dauert zwölf Jahre und bindet Kosten in Milliardenhöhe. Damit Innovationen entwickelt oder Medikamente verbessert werden können, brauchen wir den Informationsaustausch mit Ärzten auf Augenhöhe, deshalb ist diese Branche sehr streng geregelt“, sagt Barbara Forster von der „Pharmig“, die Interessensvertretung der pharmazeutischen Industrie in Österreich. Andererseits müssen sich Patienten darauf verlassen können, dass sie von Ärzten bestens beraten und versorgt werden, und das möglichst unabhängig. „Deshalb haben wir uns einer freiwilligen Selbstregulierung unterworfen, da wird der Besuch von Pharmareferenten ebenso geregelt wie das Setting von Fortbildungsveranstaltungen. Es geht um Glaubwürdigkeit“, betont die Juristin. Und Transparenz.

Nachholbedarf

Diese ist in den USA durch den „Physician Payment Sunshine Act“ gesetzlich geregelt und verpflichtend. Seit 2014 ist für jeden ersichtlich, ob und wie viel Geld ein Arzt von Pharmafirmen bekommen hat. In Europa legt die Pharmaindustrie seit 2016 im Rahmen der Beteiligung am Transparenzkodex der „European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations“ (EFPIA) alle geldwerten Leistungen offen: Berater- und Vortragshonorare, Gelder für Forschung und Lehre, Reise- und Bewirtungskosten. 2022 waren das hierzulande 112 Millionen Euro, davon flossen 14,2 Millionen in Dienst- und Beratungsleistungen, wie etwa Vorträge von Medizinern.

Doch während in Ländern wie Spanien oder Belgien nahezu 100 Prozent der Ärzte namentlich offenlegen, ob sie Pharma-Geld bekommen haben, sind es in Österreich aktuell nur 22,6 Prozent (Stand 2022), bemängelt Andrea Fried: „Das ist eine Farce, die Selbstregulation funktioniert nicht.“ Bei der „Pharmig“ macht man dafür die österreichische Kultur verantwortlich: „Ärzte verweigern die datenschutzrechtliche Einwilligung, weil sie in den ersten Jahren der Offenlegung öffentlich kritisiert wurden, dass sie mit Pharmafirmen kooperieren“, sagt Forster. Den Unternehmen seien die Hände gebunden, am Prinzip Freiwilligkeit will man trotzdem festhalten.

Auch Zahlungen für „Nicht-interventionelle Studien“ (Anwendungsbeobachtungen) sind seit 2022 intransparenter geworden, weil das Register dafür eingestellt und die Meldepflicht aufgehoben wurde. Dabei werden Wirkungen und Nebenwirkungen zugelassener Medikamente dokumentiert. Ärzte bekommen Geld, wenn sie ein bestimmtes Präparat verschreiben und Nebenwirkungen erfassen. Laut „Transparency Austria“ steckt dahinter oft ein Marketing-Tool mit geringem Erkenntniswert.

Obwohl sich die meisten Mediziner für neutral halten, untermauern Studien die Beeinflussung auf unbewusster Ebene. Eine Auswertung des Recherchezentrum „ProPublica“ 2016 ergab, dass Ärzte patentgeschützte Medikamente umso häufiger verordneten, je mehr Zuwendungen sie von Pharmafirmen erhalten haben. Eine weitere Studie des Journals JAMA zeigte den Einfluss von Pharmavertretern auf das Verschreibe-Verhalten. In Deutschland existiert daher seit 2007 eine Bewegung, die sich für mehr Unabhängigkeit engagiert – „MEZIS“, für: „Mein Essen zahle ich selbst“. Die „Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte“ hat u. a. das Ziel, die Einflussmöglichkeiten der Industrie und die Wirkung von Marketingmaßnahmen zu verdeutlichen und setzt sich für unabhängige Fortbildung ein.

Verbesserungsbedarf ist nach wie vor gegeben, sagt Andrea Fried. „Auch wenn sich einiges verändert hat, fehlt es immer wieder an Unabhängigkeit und Ausgewogenheit der Gesundheitsinformation. Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen Ärztinnen und Ärzte die für sie beste Behandlung zukommen lassen. Und nicht jene, für die sie das meiste Geld oder andere Vorteile erhalten.“

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