Mädchen schlüpften wohl schon vor 4.000 Jahren in Männerrollen

Mädchen schlüpften wohl schon vor 4.000 Jahren in Männerrollen
Früher wurden Frauen anders beigesetzt als Männer. Trotzdem finden sich Skelette, die nicht geschlechterkonform ruhen. Welche Schlüsse Archäologen daraus zieht.

Das, was Katharina Rebay-Salisbury in ihrem Labor macht, erinnert ein wenig an Dinge, die wir von Kriminaltechnikern aus TV-Serien kennen: Vorsichtig wäscht die Archäologin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) einen Uralt-Zahn mit verdünnter Säure ab. "Dadurch löst sich genug Material für eine Analyse", erklärt sie.

Dann fallen Begriffe wie Nano-Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie, geschlechtsspezifische Peptide und   Isoformen des Proteins Amelogenin, das bei Männern und Frauen im Zahnschmelz in unterschiedlicher Form vorkommt.

Können Sie getrost gleich wieder vergessen. Wichtig ist nur, was das Ergebnis der Analysen der Archäologin sagt: Mit der neuen Methode ist es ihr und ihrem Team gelungen, das Geschlecht von prähistorischen Kinderskeletten aus Zahnschmelzproben zu bestimmen.

Schauplatzwechsel

Franzhausen im Bezirk St. Pölten. Hier befindet sich eines der größten frühbronzezeitlichen Gräberfelder in Europa – um die 400  Bestattungen aus der Zeit von 2.200 bis 1.600 v. Chr.

Mädchen schlüpften wohl schon vor 4.000 Jahren in Männerrollen

Rebay-Salisbury: "Die nach Geschlecht unterschiedliche Bestattungsweise war in der Urzeit lange in ganz Europa verbreitet. Frauen wurden auf der rechten Körperseite liegend bestattet, mit dem Kopf nach Süden; Männer auf der linken Körperseite mit dem Kopf nach Norden."

Gemeinsam ist ihnen nur eine Art Schlafstellung – Hockerlage genannt. "Die Einteilung in Mann und Frau war also sehr streng – bis über den Tod hinaus."

Aktuell wollten die Archäologen der ÖAW wissen, ob das bei Kindern auch schon so streng getrennt wurde. Nach der Analyse von 70 Kinder-Gräbern kann Rebay-Salisbury sagen: "Ja, schon Kinder wurden in Mädchen und Buben getrennt, nur ein Mädchen trug zwar weiblichen Schmuck, war aber wie ein Bub begraben worden." Das berichten die Forscher nun im Journal of Archaeological Sciences.

Letzteres hat Rebay-Salisbury besonders interessiert, sie nennt es: "Mixed signals: Wir schließen daraus, dass es durchaus immer wieder Menschen gab, die nicht ihrer Geschlechterrolle entsprechend gelebt haben und behandelt wurden. Bei kleinen Kindern kann man sich vorstellen, dass es in der Familie keine männlichen Erben gab. Stattdessen könnte das Mädchen in diese Rolle geschlüpft sein."

Bis zu 4 Prozent "Andere"

Ausnahmen wie diese sind also spannend, es gibt sie auch bei Erwachsenen: Etwa zwei bis vier Prozent der Menschen wurden nicht ihrem biologischen Geschlechts gemäß begraben. Interessanterweise ist das überwiegend bei Frauen der Fall.

Mädchen schlüpften wohl schon vor 4.000 Jahren in Männerrollen

Trotz der strengen Geschlechterideologie, die in der Bronzezeit gelebt wurde, gab es immer wieder Menschen, für die es möglich war, andere Rollen in der Gesellschaft einzunehmen und die Regeln nicht befolgen zu müssen.

von Katharina Rebay-Salisbury

Archäologin

Hier bestehe Forschungsbedarf, ob es etwa an Erbfolgeregelungen lag, oder ob es sich einfach um starke, ungewöhnliche Persönlichkeiten handelte.

Die Forscherin weiter: "Abweichungen von gesellschaftlichen Normen und Regeln werden immer als Sensation gesehen, in Wahrheit sind sie eine menschliche Konstante. Gerade die Ausnahmen zeigen, wie bunt das Leben ist und welche Entscheidungsfreiheiten einzelne Personen hatten. Erstaunlicherweise gab es aber mehr Frauen, die Männerrollen annehmen konnten, als Männer, die Frauenrollen lebten. Auch da sehe ich noch viel Forschungsbedarf."

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