Klimaforscher Stefan Rahmstorf: "Ich befürchte Hungersnöte"

Klimaforscher Stefan Rahmstorf: "Ich befürchte Hungersnöte"
Sein neues Buch "3 Grad mehr" entwirft düstere Szenarien: "Wichtig, dass jeder Mensch versteht, wie katastrophal diese Welt wäre."

Der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf (62) zählt zu den führenden Wissenschaftern seines Fachgebietes und arbeitete am vierten Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) maßgeblich mit. In dem eben erschienenen Sammelband "3 Grad mehr" entwirft er mit 18 Mitautorinnen und -autoren das Bild einer Welt, in der die Erderwärmung nicht gestoppt werden konnte: extreme Hitzewellen, katastrophale Stürme, gestiegene Meeresspiegel. Fazit: "Die Welternährung wäre gefährdet." Der Forscher im APA Interview über Zukunftsaussichten.

In den Pariser Klimazielen haben sich die Unterzeichner auf eine maximale weitere Erderwärmung von 2 Grad verpflichtet. Warum beschäftigt sich das neue Buch, an dem Sie mitgewirkt haben, dann mit "3 Grad mehr"?

Stefan Rahmstorf: Die Paris-Ziele lauten: deutlich unter 2 Grad und möglichst 1,5 Grad. Das "deutlich unter" darf nicht vergessen werden, es war eine Verschärfung der alten 2-Grad-Grenze, ohne die viele Staaten dem Pariser Abkommen nicht zugestimmt hätten, weil 2 Grad Erderhitzung für viele Länder verheerende Folgen hätte.

Doch leider sind wir mit der aktuellen weltweiten Klimapolitik sogar auf dem Weg zu einer 3-Grad-Welt, wie der Weltklimarat in seinem aktuellen Bericht festgestellt hat. Es ist daher wichtig, dass jeder Mensch versteht, wie katastrophal diese Welt wäre.

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen einer "2-Grad-mehr-Welt" und einer "3-Grad-mehr-Welt"?

Schon eine 2-Grad-Welt wäre schlimm, nicht umsonst haben alle Länder dem Pariser Abkommen zugestimmt - selbst die, die vom Verkauf fossiler Energie leben, wie Russland und die Golfstaaten, und sich damit zu Anstrengungen verpflichtet, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Was viele nicht wissen: dieser globale Mittelwert besteht zu siebzig Prozent aus Ozeantemperaturen, die Landmassen erwärmen sich viel stärker. Eine 3-Grad-Welt wäre keineswegs nur doppelt so schlimm wie eine 1,5-Grad-Welt, sondern es werden Belastungsgrenzen überschritten, sowohl für Ökosysteme wie auch für die menschliche Gesellschaft.

Die Welternährung wäre gefährdet, ich befürchte Hungersnöte. Der Meeresspiegel steigt umso schneller je wärmer es wird, Tropenstürme werden noch viel heftiger (schon jetzt gibt es ja die Debatte, eine neue Sturmkategorie 6 einzuführen aufgrund der jüngsten Rekordstürme). Die Alpen würden Gletscher und Schneedecke weitgehend verlieren. Dazu massive Waldbrände und Überschwemmungen.

Sie schreiben, im Pliozän, also vor rund drei Millionen Jahren, habe es ähnlich hohe globale Temperaturen gegeben wie in Ihrem Szenario. Alles also schon einmal da gewesen? Leben und Überleben ist unter solchen Bedingungen also möglich?

Die damaligen Tiere und Pflanzen waren seit vielen Millionen Jahren an höhere Temperaturen angepasst. Homo sapiens entstand erst vor 300.000 Jahren während eines Eiszeitalters, und wir haben erst zu Beginn des stabilen Holozänklimas vor rund 10.000 Jahren die Landwirtschaft erfunden und sind sesshaft geworden.

Jetzt sind wir 8 Milliarden Menschen und auf sichere Ernten angewiesen. Ein Großteil von uns lebt in Städten an der Küste, für die schon ein Meter Meeresspiegelanstieg eine Katastrophe wäre. Beim Klimaschutz geht es eigentlich um Menschenschutz, es geht darum, großes menschliches Leid zu vermeiden.

Welche unmittelbaren Lebensumstellungen würde ein 3 Grad plus-Szenario für Menschen in Deutschland und Österreich bedeuten?

Bereits jetzt - nach 1,2 Grad globaler Erwärmung - haben wir den natürlichen Schwankungsbereich des Holozäns verlassen, wir bewegen uns in unkartierte Gewässer. Bei 3 Grad globaler Erwärmung haben wir in Deutschland und Österreich 5 bis 6 Grad höhere Mitteltemperaturen.

Daran ist die hiesige Natur überhaupt nicht angepasst und die Erwärmung geht auch viel zu schnell, als dass sie sich anpassen könnte. Wir Menschen leiden dann unter den Extremen, zum Beispiel heute unvorstellbaren Extremniederschlägen mit Überflutungen. 6 Grad wärmere Luft kann 50 Prozent mehr Wasser aufnehmen und abregnen. Und wo wir früher bei einer Hitze von 39 Grad stöhnten, wären es dann 45 Grad.

Im Zusammenhang mit den für Menschen gerade noch erträglichen Bedingungen an Temperatur und Luftfeuchtigkeit argumentieren Sie mit der "Kühlgrenztemperatur". Was bedeutet dieser Wert - und welche Rolle spielt er in der Klimakrisendebatte?

Das ist die tiefste Temperatur, die sich durch direkte Verdunstungskühlung erreichen lässt. Sie hängt von Temperatur und Luftfeuchte ab und ist relevant, weil wir uns durch Schwitzen kühl halten. Spätestens ab einer Kühlgrenztemperatur von 35 Grad wird es tödlich, sich längere Zeit im Freien aufzuhalten. Solche Temperaturen wären in einer 3-Grad-Welt weit verbreitet, die Menschen könnten dann während Hitzewellen wochenlang nicht mehr auf den Feldern oder auf Baustellen arbeiten.

Sie skizzieren ein "Albtraumszenario" von Dürre und Ernteausfällen "in den großen Kornkammern der Nordhalbkugel im Westen Nordamerikas und Russlands, in Westeuropa und der Ukraine". Sind wir kriegsbedingt nicht schon mitten drinnen? Und welche politische Dynamik könnte das für die kommenden Monate bedeuten?

Ich denke durch den Ukrainekrieg merken viele Menschen erst, wie wir für die Ernährungssicherung von diesen Ernteerträgen abhängen. Aber schon in der Hitzewelle 2010 hat Russland den Getreideexport verboten, weil die magere Ernte für die eigenen Bevölkerung gebraucht wurde. Eine Folge waren höhere Brotpreise in Nordafrika, was den "arabischen Frühling" damals mit ausgelöst hat.

Auch die Unruhen in Syrien kamen übrigens nach der schlimmsten Dürre in der syrischen Geschichte mit Viehsterben und massiven Ernteausfällen. Solche Extreme können fragile, konflikthafte Staaten destabilisieren, davor hat der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Bundesregierung in einem Gutachten schon 2007 gewarnt (ich war damals einer der Autoren).

Der Krieg in der Ukraine und der drohende Ausfall bzw. der diskutierte Boykott russischer Gaslieferungen hat viele Dinge angestoßen - von der höheren Notwendigkeit einer Energiewende über Reaktivierung von Kohlekraftwerken bis zu hohen Preissteigerungen und einer drohenden Rezession. Was bedeutet das für den Kampf gegen den Klimawandel?

Eigentlich sollte das bedeuten, dass wir jetzt sofort ganz massiv in Erneuerbare Energien, Effizienz und Einsparmöglichkeiten investieren, um uns unabhängig von fossilen Energien zu machen. Leider sehen wir aber, dass die deutsche Regierung sich einfach andere Dealer für den fossilen Stoff sucht und LNG-Terminals aufbaut. Das alte Denken, die Beharrungskräfte und auch die Lobby dafür sind immer noch stark.

Sie beschreiben einige Kipppunkte des Klimasystems, an denen Unumkehrbarkeit von Entwicklungen droht. Welche machen Ihnen derzeit am meisten Sorgen?

Zunächst ist die Erderwärmung an sich ja unumkehrbar. Wir können nicht sagen: jetzt ist es uns aber wirklich zu heiß, wir hören auf fossile Energie zu nutzen, und dann wird es wieder kühler. Das passiert leider nicht, weil das Kohlendioxid viele hunderte Jahre in der Luft bleibt, ein Teil sogar zehntausende von Jahren. Es gibt kein Zurück zu einem kühleren Klima, wir können nur die weitere Erwärmung stoppen. Dazu kommen die Kipppunkte, ab denen Teile des Erdsystems unaufhaltsam in einen völlig neuen Zustand kommen.

Beispiel Grönlandeis: irgendwo zwischen 1 und 3 Grad globaler Erwärmung ist der Kipppunkt, ab dem das komplette Abschmelzen des Eispanzers unaufhaltsam wird. Das bedeutet dann 7 Meter globaler Meeresspiegelanstieg und das Ende vieler Küstenstädte und ganzer Staaten. Sorgen macht auch das Umkippen von Ökosystemen wie dem Amazonaswald oder den Korallenriffen. Von denen wird - laut Weltklimarat - schon bei 2 Grad Erwärmung so gut wie nichts übrig bleiben, das Korallensterben ist in vollem Gange.

Das Buch beschreibt auch "naturbasierte Lösungen, wie wir eine 3 Grad wärmere Welt noch verhindern können". Welche ist aus Ihrer Sicht die am leichtesten umsetzbare - und welche wäre die wichtigste?

Ich bin kein Experte für naturbasierte Lösungen, aber am dringendsten ist es, erstmal die vorhandenen Urwälder zu bewahren und den Raubbau zu stoppen. Dann geht es um Aufforstung, um die Wiedervernässung von Mooren, um die Humusanreicherung in Böden durch regenerative Landwirtschaft. Diese Dinge können wichtige aber begrenzte Beiträge leisten, vor allem aber müssen wir rasch die fossile Energienutzung beenden.

"3 Grad mehr" widmen die Autoren und Autorinnen ihren Enkelkindern. Wie wird nach Ihrer heutigen Einschätzung die Welt aussehen, in denen sie leben werden?

Ich hoffe natürlich immer noch, dass wir gerade noch rechtzeitig die Kurve kriegen und die Katastrophe verhindern. Ansonsten trifft es keineswegs nur unsere Enkel - auch die Großeltern, die vielleicht noch 25 Jahre in Ruhe ihre Rente genießen wollen. Ohne in den nächsten zehn Jahren die Emissionen weltweit stark zu reduzieren wird das schwer.

 "3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern", mit Infografiken von Esther Gonstalla, oekom Verlag, 352 Seiten, Broschur, 25,70 Euro)

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