Das Lager im Kärntner 7.000-Seelen-Ort wuchs sich zu einer zweiten Stadt mit genauso vielen Flüchtlingen aus. „Eine eigens gebaute Kirche mit einem 17,5 Meter hohen Turm, zwei Schulbaracken, eine Lesehalle, drei Zentralküchen, Werkstätten, eine Tabaktrafik, ein Lebensmittelgeschäft und eine Telegrafenstation machten das Flüchtlingslager autonom“, erzählt Klösch, der die Geschichte des Lagers erforscht hat.
Im Jänner 1915 lebten 7.350 Flüchtlinge in der Lagerstadt, unter ihnen waren rund 600 Kleinkinder, 200 bereits hier geboren. In den Sommermonaten ging es zu Waldarbeiten in die Kronländer der Monarchie. Das blieb so bis 1917. Da kehrten die allermeisten zurück in die Heimat. Das Lager wurde abgebaut. Nichts erinnerte mehr daran.
Ein Stück vergessene österreichische Geschichte, die zeigt, wie verbunden Österreich mit der Ukraine ist.
Damals waren die Ruthenen (so ihr alter Name) Österreicher. Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Landstrich als Königreich Galizien und Lodomerien dem Habsburgerreich zugeschlagen. Seine Bewohner wurden als unzivilisiert verleumdet, galt die Region doch bald als Strafkolonie der Monarchie, wohin unliebige Beamte und Militärs abgeschoben wurden. Wobei das auch der Propaganda diente, sollte das österreichische Wirken in der Region doch als vorbildlich rüberkommen. Motto: Fortschritt selbst für den hintersten Winkel Europas.
Fakten
In Wahrheit war das „Königreich Galizien und Lodomerien“ das größte Kronland der österreichischen Reichshälfte, so groß wie das heutige Österreich. Um 1900 machte das große Ölvorkommen es zum „österreichischen Texas“. Das kosmopolitische Lemberg, heute die westukrainische Metropole Lviv, hatte eine Ringstraße mit Hotels und war nach Wien, Budapest und Prag viertgrößte Stadt Österreich-Ungarns. Czernowitz erlebte ebenfalls einen rasanten Aufschwung, Straßen wurden befestigt, steinerne Häuser ersetzten die aus Holz, Schulen wurden gebaut.
Ukrainisches Nationalbewusstsein
Die Ukrainer trugen im Habsburgerreich den offiziellen Volksnamen Ruthenen, abgeleitet vom lateinischen Ruthenia für das alte Kiewer Reich „Rus“. Über vier Millionen Ruthenen lebten um 1910 geballt im östlichen Galizien (siehe Karte unten), es entspricht der heutigen Westukraine. Sie waren als eigener „Volksstamm“ anerkannt, besuchten ukrainische Volksschulen und durften Vertreter in den Reichsrat entsenden. „Ukrainisch gehörte zu den anerkannten österreichischen Sprachen“, sagt Historiker Leidinger.
Putin irrt
„Das Land blickt also keinesfalls – wie Putin behauptet – nur auf eine gemeinsame Geschichte mit Russland zurück“. Es gab starke polnische, litauische und österreichische Einflüsse. „Im 19. Jahrhundert entwickelt sich ein ukrainisches Nationalbewusstsein, das sich von dem in Russland unterscheiden will. Während der Monarchie waren die Ukrainer also auf dem Weg zu einer Nation.“ Viele Historiker meinen heute, dass unter anderem in der Habsburgermonarchie der Samen der ukrainischen nationalen Bewegung gelegt wurde.
Die heute weltweit sichtbaren Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten der Ukraine seien auch auf die austro-ukrainische Politik vor 1918 zurückzuführen. Träger der Unabhängigkeitsbewegung ist nicht zuletzt die Westukraine, das ehemalige österreichische Gebiet. „Doch diese Unabhängigkeitsbewegung wurde von allen großen Mächten missachtet. Eine Tragödie. Auch Österreich hat sich da schuldig gemacht“, resümiert Leidinger. „Es schaut ganz so aus, als würde die Ukraine auf tragische Art und Weise immer wieder ein Opfer der Anmaßung der Nachbarn. Als Staat ist sie in der Tat ein Opfer wie kaum ein anderes Land.“
Kommentare