Von Echokammern zu Brücken: Vision für soziale Medien

Was wir in sozialen Netzwerken sehen, lesen und hören, wird maßgeblich von Programmcodes gesteuert. Das Phänomen der „digitalen Echokammern“ oder „Bubbles“ – also Räume, in denen Nutzer vor allem Inhalte sehen, die ihre bestehenden Ansichten bestätigen – wird zunehmend zum Problem. Wie wirkt sich das auf unser Zusammenleben aus? Das wurde in „Spontan gefragt“ auf KURIER TV mit dem renommierten Computerwissenschafter Stefan Neumann von der TU Wien und der Psychologin und Schauspielerin Nina Blum diskutiert.
Im Zentrum der Debatte stehen sogenannte Empfehlungsalgorithmen, auf Englisch „Recommendation Systems“. Das sind Programme, die festlegen, wer welche Inhalte sieht. Ihr Ziel: User möglichst lange zu binden und Werbeeinnahmen zu steigern. Doch genau diese Logik hat laut Experten auch soziale Nebenwirkungen. Neumann warnt, dass dies zu mehr Polarisierung und der Verbreitung von Desinformationen führen kann, da andere Inhalte und Ansichten blockiert werden. Neumanns Team an der TU Wien erforscht die Mechanismen dahinter und versucht, diese zu entschlüsseln.
Auch Nina Blum nutzt diese digitalen Möglichkeiten beruflich. Sie schätzt die Effizienz, mit der sie durch gezielte Werbung neue Publikumsschichten für ihre Theaterfestivals erreicht. Doch auch sie kennt die Schattenseiten: etwa penetrante Produktempfehlungen, die eher nerven als nützen, wie sie sagt.
In der Bubble
Gerade im digitalen Raum wird viel über die Meinungsvielfalt diskutiert. Ob soziale Medien diese tatsächlich ein- schränken, statt zu fördern, ist schwer zu beantworten. Neumann erklärt, dass manche Nutzer durch Social Media ein breiteres Medienspektrum konsumieren als andere. Andere Menschen wiederum sind durch die Algorithmen in ihrer „Bubble“ gefangen und nehmen nur Inhalte innerhalb dieser wahr.
Moderator Markus Hengstschläger teilt als Wissenschafter die Sorge, dass das menschliche Denken durch Algorithmen beeinflusst wird. Er sieht traditionelle Medien im Vorteil, da diese Inhalte bieten, die nicht selbst ausgewählt wurden, und so ein differenzierteres Denken fördern.
Mensch und Maschine
Weiters wurde die Frage nach dem menschlichen Anteil an der digitalen Spaltung diskutiert. Neumann weist darauf hin, dass viele Nutzer soziale Medien primär zur Selbstdarstellung und Aufmerksamkeitssuche verwenden. Polarisierende Inhalte stoßen auf ein starkes Interesse und bringen Klicks – der Algorithmus verstärkt das. Ein Praxisbeispiel: Sozialdemokraten etwa sehen von Konservativen vor allem extreme Aussagen – Inhalte, die stärker polarisieren als die Realität. Hengstschläger ergänzt diese Sensationslust mit dem biologischen Konzept der „Negativity Bias“: Menschen sind von Natur aus auf schlechte Nachrichten fokussiert – ein Überlebensmechanismus und eine alte Idee: „Only bad news are good news.“
Brückenbau
Aber wie kann man diesen Trend aufhalten? Ein zentraler Punkt ist die Stärkung digitaler Bildung und Medienkompetenz. Kinder – aber auch Erwachsene – sollten früh lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen, Hintergründe zu erkennen und persönliche Agenden zu durchschauen. Außerdem geht Neumann davon aus, dass ein Handyverbot an Schulen die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern fördern kann. Die Regulierung von Algorithmen ist ebenfalls ein Thema, stößt jedoch an Grenzen: Zwar gibt es gesetzliche Vorgaben, etwa zur Löschung von Fake News, doch oft sind diese schon zu weit verbreitet. Effektiver könnte es sein, Algorithmen umzubauen – etwa durch sogenannte „Bridging“-Algorithmen, wie sie Neumanns Team erforscht. Diese sollen gemäßigte Inhalte auch jenseits der eigenen politischen Meinung in den Feed bringen und so Verständnis und Dialog fördern. Blum nennt diese Idee „beruhigend“ – doch bleibt die Herausforderung, dass solche Inhalte zwar gesehen, aber weiterhin aus der eigenen Filterblase heraus interpretiert werden.
Für Neumann ist klar: Um Algorithmen wirksam zu regulieren und weiterzuentwickeln, braucht es viel mehr Daten von den Plattformen selbst. Nur so ließe sich nachvollziehen, wie diese Systeme wirklich funktionieren – und wie man sie zum Positiven verändern kann.
Die angeregte Diskussion zeigte: Die Probleme der digitalen Welt lassen sich nicht allein auf Technik reduzieren. Es ist das Zusammenspiel aus Mensch und Maschine, das neue Dynamiken schafft. Doch die Forschung an alternativen Algorithmen bietet Hoffnung, dass sich digitale Räume künftig pluralistischer und verbindender gestalten lassen.

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