Versorgungskonzept fehlt

Rund 1,7 Millionen Österreicher leiden an chronischen Schmerzen. Die Versorgung dieser großen - und beständig wachsenden - Patientengruppe lässt aber zu wünschen übrig. Univ.-Prof. Günther Bernatzky, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und an der Universität Salzburg tätig, präzisiert dies an Hand des Beispiels Rückenschmerz: "Bei fast 50 Prozent besteht der Schmerz auch fünf Jahre nach Behandlungsbeginn weiter."
Ökonomische Folgen
Neben dem persönlichen Leid der Betroffenen wirkt chronischer Schmerz aber auch auf die gesamte Gesellschaft. Hans-Georg Kress, Anästhesist an der MedUni Wien und Präsident der Europäischen Schmerzföderation (EFIC) krisitiert, dass die ökonomischen Auswirkungen, etwa Arbeitsfähigkeit und Krankenstände, von den gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern zu wenig berücksichtigt wird. Er rechnet vor: "Die direkten - also medizinischen - Kosten für chronische Schmerzpatienten betragen im Jahr in Österreich 1,4 bis 1,8 Milliarden Euro. Die Gesamtkosten mit Arbeitsausfällen etc. betragen an die sechs Milliarden Euro." 4500 Neupensionierungen zurückzuführen. Das alles seien "echte wirtschaftliche Verluste, die vermieden werden könnten".
Bei ihrem diesjährigen Jahreskongress in Klagenfurt fordern die Schmerzexperten deshalb ein Umdenken in der Gesundheitspolitik sowie ein flächendeckendes Versorgungskonzept vom Hausarzt bis zur Schmerzklinik, um Chronifizierungen überhaupt zu vermeiden. "Wenn die Patienten zu uns in die Schmerzkliniken kommen, ist der Karren bereits abgefahren, betont Kongress-Präsident Prim. Rudolf Likar, "Der Prozess beginnt bereits acht Jahre früher." Man müsste die Patienten bereits bei ihrem ersten Krankenstand erreichen und schon zu diesem Zeitpunkt eine Therapie beginnen - und damit auch eine Chronifizierung verhindern.
Aus Expertensicht wäre ein umfassendes Behandlungs- und Betreuungskonzept, wie etwa im Skandinavien und den Niederlanden, dringend notwendig. Das heißt nicht, dass jeder Rücken- oder Nackenschmerz sofort in einer Schmerzklinik behandelt werden soll. Der Schlüssel sei eine "sinnvoll abgestufte Versorgung", betont ÖSG-Präsident Günther Bernatzky. "Schmerzversorgung muss auch außerhalb von größeren Zentren stattfinden - vom Hausarzt zum Schmerzmediziner - und erst in der Folge zu Einrichtungen wie Schmerzambulanz, Schmerzabteilung oder spezialisiertes Schmerzkrankenhaus." Basis dafür sei eine gute Ausbildung und ein umfassendes Netzwerk. Die Schmerzexperten fordern vermehrte Ausbildung von niedergelassenen (praktischen) Ärzten für die Diagnose und Therapie von Schmerzpatienten, Schmerz-Fachärzte sowie mehr spezialisierte Ambulanzen.
Positive Entwicklungen
Trotz all der Forderungen hat sich am Gebiet der Schmerzbekämpfung aber auch abseits der Entwicklung vieler neuer und besser verträglicher Medikamente viel getan in den vergangenen Jahren. Bernatzky betont: "Gelungen ist eine Enttabuisierung des Themas Schmerz, die allmähliche Anerkennung von Schmerz als eigenständiges Krankheitsbild sowie ein Abbau der Ängste vor Schmerzmedikamenten mit Opiaten."
Besonders stolz ist man auch auf eine Innovation. Schmerzpatienten, die auf implantierte Neurostimulationssysteme angewiesen sind, können mit einem neuen System nun auch per MRT ohne Probleme untersucht werden. Bisher hatte man befürchtet, dass die starken Magnetfelder und Radiofrequenzen die Impulse dieser hochsensiblen Geräte stören könnten. Mit speziell entwickelten Elektroden kann diese Gefahr aber reduziert werden. Bei der Neurostimulationstherapie gibt das implantierte Gerät elektrische Impulse ans Rückenmark ab. Sie überlagern dadurch die Schmerzimpulse, bevor diese das Gehirn erreichen. Prim. Rudolf Likar: "Diese Therapie wird im Allgemeinen zur Behandlung ständiger, medikamentös nicht beherrschbarer Schmerzen an Rumpf sowie den Extremitäten zu unterstützen."
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