Unfallchirurg: Ärzteserien zeichnen völlig falsches Bild
Prim. Thomas H.G. Hausner ist seit Jahreswechsel ärztlicher Leiter des AUVA-Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler in Wien: "Mein Traumjob." Vor der Urlaubssaison warnt er vor Gedankenlosigkeit im Freizeitsport.
KURIER: Sie sind Unfallchirurg und Träger des 7. Dan. Hilft Karatekunst auch im Spital?
Thomas Hausner:Oberstes Ziel im Karate sind die Beherrschung des Charakters und die Technik. Es geht darum, sich ein Leben lang weiterzuentwickeln – und das bringt auch im Beruf sehr viel. Und man bekommt eine gewisse Ruhe in Stresssituationen – auch im Spital. Das hilft.
Im Karate gibt es wenig Verletzungen im Vergleich zu anderen Sportarten. Fehlt es vielen an Charakterbeherrschung?
Im Karate geht man nie unvorbereitet ins Training und in den Wettkampf. Und man lernt richtig zu fallen. Gerade im Freizeitbereich – Haushalt wie Sport – fehlt aber oft der Respekt vor den Gefahren und es dominiert Gedankenlosigkeit. Die Leute überschätzen sich und unterschätzen die Risiken. In jedem Sportverein wird Grundlagenausdauer trainiert, beginnen Training und Wettkampf mit Aufwärmen und enden mit einem ,Cool Down‘. Bei vielen Freizeitsportlern ist das kein Thema. Aber ein nicht unerheblicher Teil an Verletzungen könnte dadurch vermieden werden.
Und im Haushalt?
Was vielen nicht bewusst ist: Ganz banale Dinge können große Folgen nach sich ziehen: Ein Glas bricht, man schneidet sich, ein schwerer Handinfekt kann eine langwierige Behandlung notwendig machen – und im schlimmsten Fall sogar die Beweglichkeit einschränken. Einer 40-jährigen Frau brach beim Küchenputzen eine Plexiglasscheibe, sie geriet mit dem Daumen in die Bruchkante. Ganz kleine Splitter – die man fast nicht mehr herausbekommt – führten zu einer schweren Entzündung, mehrere Operationen waren notwendig. Ein Problem ist auch, dass zu Hause oft auf Schutzhandschuhe verzichtet wird, etwa bei Sägen. Und dass zunehmend günstige Maschinen und Geräte über das Internet gekauft werden, wo aber oft jegliche Schutzvorrichtung fehlt. Immerhin rund die Hälfte unserer Patienten hatte einen Freizeitunfall. Im Berufsleben sind Bewusstsein und Schutzmaßnahmen auf hohem Niveau, in der Freizeit fehlt beides oft.
Liegt das auch daran, dass viele sich denken, die moderne Medizin wird es schon richten?
Die Erwartungshaltung ist oft sehr hoch – auch durch TV-Serien wie "Grey’s Anatomy" oder "Emergency Room": Man kommt zu uns, alle warten schon, man wird sofort rundum versorgt und schnipp! ist alles erledigt. Dann geht man, als ob nichts gewesen wäre, und alles ist wieder zu 100 Prozent hergestellt – so das verzerrte Bild. Die Unfallchirurgen können heute zwar den Großteil der Patienten gut entlassen – aber das heißt nicht, dass nicht manchmal doch kleine oder auch größere Einschränkungen zurückbleiben. Manche glauben, es gäbe ein Recht auf Gesundheit – aber es gibt nur ein Recht auf möglichst gute Behandlung.
Aber die Unfallchirurgie hat große Fortschritte gemacht.
Natürlich. Moderne Materialien für Platten und Schrauben , mit denen gebrochene Knochen stabilisiert werden, ermöglichen es, dass viele Patienten schon am Tag nach der OP aufstehen und rasch mit Bewegungstherapie beginnen können. Die Techniken werden immer mehr verfeinert, Gelenke müssen nicht mehr geschont oder ruhiggestellt werden. Immer häufiger setzen wir Stoßwellen ein. Sie regen die Regeneration von Gewebe an: Es gibt Knochenbrüche, die ohne Stoßwellentherapie nur sehr schwer oder gar nicht heilen. Relativ neu ist die Anwendung von Stoßwellen für die Nervenregeneration. Ein Beispiel: Jemand durchtrennt sich den Hauptnerv, der die Handfläche versorgt. Bei der OP fügen wir unter dem Mikroskop die Enden zusammen – werden danach Stoßwellen eingesetzt, kommt es rascher zur Heilung und bestmöglichen Funktion.
Ihre Pläne fürs Lorenz-Böhler?
Das Lorenz-Böhler ist die Wiege der Unfallchirurgie. Von hier aus sollen Impulse für Patientenbetreuung und Forschung ausgehen, die weit über die Grenzen dieses Hauses wirken. Wir wollen die Therapie von Schwerstverletzten ausbauen und neue Spezialambulanzen für die Bereiche Wirbelsäule und Fußchirurgie aufbauen. Und als AUVA-Spital intensivieren wir in Kooperation mit der Boltzmann-Gesellschaft die Forschung – im Bereich Stoßwellen ebenso wie bei Gewebezüchtungen und Ersatzmaterialien.
Prim. Thomas H. G. Hausner ist als ärztlicher Leiter des AUVA-Unfallkrankenhauses Lorenz Böhler Nachfolger von Univ.-Prof. Harald Hertz. Hausner ist Facharzt für Unfallchirurgie und Spezialist für Handchirurgie, Notarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie.
Das 1925 (an einem anderen Standort) eröffnete Spital war das erste Unfallkrankenhaus Wiens. Lorenz Böhler (Leiter bis 1963) machte es zu einem weltweiten Vorbild für Unfallkrankenhäuser. Jährlich werden hier fast 70.000 Patienten versorgt.
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